
Die 100 großen Fragen des LebensFrage 5: War früher alles besser?Auszug aus dem Interview von Yvonne Weiß/Hamburger Abendblatt
24. März 2018, von Online-Dienste

Foto: Michael Rauhe
Historiker Prof. Dr. Christoph Dartmann (li.) und Psychologe Prof. Dr. Lars Schwabe (re.) im Gespräch über die nostalgische Verklärung früherer Zeiten.
Bildung, Kommunikation, Hygiene, Sicherheit, Medizin, Menschenrechte – vieles hat sich im Lauf der Zeit weiterentwickelt. Dennoch ist der sehnsüchtige Blick in die Vergangenheit gerade populär. Der Historiker Prof. Christoph Dartmann und der Kognitionspsychologe Prof. Lars Schwabe von der Universität Hamburg über ein seltsames Phänomen.
Bei der Annahme "Früher war alles besser" vergleichen die Menschen Erlebnisse von heute mit ihren Erinnerungen. Wie korrekt sind unsere Erinnerungen?
Prof. Lars Schwabe: Je länger eine Erinnerung zurückliegt, desto ungenauer wird sie. Vom Prinzip her nicht schlecht, denn unsere kognitive Effizienz würde nur belastet, wenn wir uns immer an alles genau erinnern. Wenn jemand meint, früher sei alles besser gewesen, dann spielt da auch ein banaler Mechanismus eine Rolle: Der Schmerz von heute tut immer mehr weh als der von gestern. Stehen wir in diesem Moment vor akuten Problemen, stellt das eine starke Herausforderung dar. Schauen wir zurück, wissen wir zwar insgeheim, dass da keineswegs immer alles wundervoll war, aber so belastend wie heute empfinden wir im Vergleich fast nichts mehr. Neben dem Früher, das wir selbst erlebt haben, beobachte ich aber eine Verklärung des Früher, das nicht mal unsere direkten Vorfahren erlebt haben. Ein interessantes Phänomen, dass beide Blicke zurück einen gewissen Reiz ausmachen. Es sagt viel über die Gegenwart aus, wenn wir uns stark in die Vergangenheit sehnen.
Aber was konkret bedeutet das? Ich fürchte, nichts Gutes.
Prof. Christoph Dartmann: Der Soziologe Zygmunt Bauman sagt in seinem Buch "Retrotopia", dass das Zutrauen der Menschen in eine gute Gegenwart und bessere Zukunft erschüttert sei, sie wenden sich stattdessen einer angeblich guten alten Zeit zu. Genau das Gefühl hat Trump bedient mit seinem Spruch "Make America great again". Nicht vorwärts soll es gehen, sondern zurück zu alter Größe. Das Gleiche bei der Brexit-Entscheidung: Dort wurde von den Befürwortern eine Commonwealth-Nostalgie heraufbeschworen. Die AfD spielt ebenfalls auf dieser Klaviatur, indem sie von einem Früher schwärmt, als Männer noch Männer sein durften, als es noch Autoritäten gab und die Welt überschaubar war.
Manchmal ist also gar nicht die Erinnerung an sich verfälscht, sondern ihre Darstellung.
Dartmann: Genau, gerade bei der Frage, an welche Vergangenheiten man sich erinnern möchte innerhalb einer Gesellschaft. Im Moment erleben wir in Deutschland einen richtigen Kampf um Erinnerung, eine Umdeutung der Vergangenheit, wenn zum Beispiel die AfD versucht, die Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert positiv umzukodieren, um sie zu instrumentalisieren.
Das vollständige Interview lesen Sie im Hamburger Abendblatt:
Interview: War früher alles besser?
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