
Die großen Fragen des LebensFrage 26: Wie kann ich die Welt verbessern?Auszug aus dem Interview von Insa Gall / Hamburger Abendblatt
21. August 2018, von Online-Dienste

Foto: Klaus Bodig / Hamburger Abendblatt
Professor Timo Busch hat zum Fototermin sein 20 Jahre altes Handy mitgebracht, das immer noch gute Dienste leistet. Die Brille von Prof. Martina Neuburger steht dafür, immer genau hinzusehen.
Die Welt besser machen – wie geht das? Und was kann, was muss jeder Einzelne dafür tun? Wie wirkt es sich auf der anderen Seite der Erde aus, wenn wir hier unsere Welt besser zu machen versuchen? Ein durchaus kontroverses Gespräch mit der Geographin Prof. Dr. Martina Neuburger und dem Betriebswirt Prof. Dr. Timo Busch.
Die Welt besser machen – das ist ein hohes Ideal. Kann man die Welt überhaupt besser machen; muss man die Welt besser machen?
Prof. Timo Busch: Wir haben drängende Probleme, die wir in naher Zukunft lösen müssen – dazu ist wirklich jeder Einzelne gefordert. Wir alle sollten unsere Alltagsroutinen kritisch anschauen und uns fragen, an welcher Stelle sie zu den Problemen beitragen und wie wir sie ändern können. Gefordert sind aber vor allem auch Unternehmen. Eine Annahme der ökonomischen Theorie trifft jedenfalls zu: Die meisten Wirtschaftssubjekte handeln, um ihren Nutzen zu maximieren – und das ist die Ursache für viele Probleme.
Was sind denn überhaupt die dringendsten Felder, auf denen wir handeln müssen?
Busch: Definitiv beim Klimawandel und dem Erhalt der Vielfalt von Arten und Ökosystemen sowie dem schonenden Gebrauch endlicher natürlicher Ressourcen wie beispielsweise Phosphor.
Vor kurzem schrieb Larry Fink, Vorstandsvorsitzender der weltgrößten Investmentgesellschaft Blackrock, an Hunderte CEOs, die Gesellschaft verlange heutzutage, dass Firmen einem gesellschaftlichem Zweck dienten. „Um auf lange Sicht hin erfolgreich zu sein, genügt es nicht, einen Mehrwert für die Aktionäre zu schaffen. Ein Unternehmen muss auch zeigen, dass es einen positiven Beitrag für die Gesellschaft leistet“, schrieb Fink. Findet da ein Umdenken statt?
Busch: Es gibt seit längerem bereits ein Umdenken, aber das reicht bei weitem nicht aus. Wobei es ohnehin interessant ist, dass ausgerechnet jemand wie Larry Fink von Blackrock so etwas schreibt. Nachhaltigkeit gehörte bisher nicht unbedingt zu den Kernanliegen dieses Großinvestors.
Was heißt eigentlich „besser machen“?
Prof. Martina Neuburger: Das ist eine spannende Frage. Mir geht es darum, nicht EINE bessere Welt zu definieren, sondern anzuerkennen, dass es eine unermesslich große Ideenvielfalt für „bessere“ Welten gibt, dass alle miteinander verbunden sind, jedoch nicht alle die gleichen Chancen haben, sich durchzusetzen. Mein Augenmerk als Wissenschaftlerin liegt vor allem auf den Themen Ungleichheit, Diskriminierung und Ausbeutungsverhältnisse. Da ist es interessant, sich die größeren Zusammenhänge anzuschauen. Wenn wir hier bei uns Klimaschutzmaßnahmen fordern, die Weltbank dann entsprechende Programme auflegt, die beispielsweise kleinbäuerlichen Gruppen in Peru helfen sollen, sich an neue klimatische Bedingungen anzupassen, dann haben wir dort Folgendes beobachtet: Nicht-Regierungsorganisationen vor Ort akquirieren Gelder für die Klimaprojekte und bieten kleinbäuerlichen Familien in der Region entsprechende Technologien an. Dadurch entmündigen sie aber, weil die Kleinbauern und Kleinbäuerinnen nicht nach ihren alltäglichen Problemen gefragt werden und ihr ökologisches Erfahrungswissen nicht anerkannt wird. Das Thema Klimawandel verdeckt damit die eigentlichen Probleme vor Ort: Das sind Rassismus und die Diskriminierung von ländlicher Bevölkerung. In vielen Fällen verstärkt diese Klimaschutzdiskussion somit die Diskriminierungsformen, die wir aus der Kolonialzeit kennen.
Wenn man also hier bei uns mit gutem Willen etwas gegen den Klimawandel tun will, bedeutet das anderswo eine Verschlechterung der Lebensverhältnisse?
Neuburger: Wir müssen zumindest sehr genau hinschauen. Wenn die deutsche Regierung mit der brasilianischen ein Abkommen schließt zur Erhöhung der Bioenergieproduktion, dann bedeutet das in Brasilien konkret, dass sich die großbetriebliche Zuckerrohrproduktion ausweitet. In vielen Fällen werden dadurch kleinbäuerliche und indigene Bevölkerungsgruppen aus ihren angestammten Gebieten vertrieben zugunsten der Zuckerrohrproduktion – weil es ja gut fürs Klima ist. Der Klimawandel-Diskurs dient also vielfach dazu, Ungleichheiten zu reproduzieren.
Die Welt besser machen, was bedeutet das für Sie persönlich?
Neuburger: Diskriminierungsmechanismen aufdecken und gegen sie vorgehen.
Also geht es zuerst um Ungleichheit und der Klimawandel ist egal?
Neuburger: Das muss gesellschaftlich ausgehandelt werden. Aber für mich ist wichtig: Wer sagt, Klimawandel und Biodiversität seien wichtig? Wer setzt solche Normen fest? Das Konzept, wonach die unberührte Natur schützenswert sei, gibt es erst seit dem 19. Jahrhundert. Mein Hauptanliegen ist es, diese Normensetzung zu hinterfragen und bisher unhörbare – so genannte subalterne – Perspektiven hörbar zu machen.
Busch: Über unerwünschte Folgen von Nachhaltigkeitsstrategien muss man sich natürlich Gedanken machen. Wir müssen uns aber fragen, was unsere Hauptprobleme sind. Und das ist: Wir verbrauchen zu viele Ressourcen und emittieren zu viel – insbesondere Kohlendioxid. Daraus folgen drei klare Handlungsmaximen: Wir müssen Ressourcen, also beispielsweise Energie, effizienter nutzen. Zweitens sollten wir Ressourcenkreisläufe schließen, also Rohstoffe recyceln und wieder in die Produktion einbringen anstatt sie wegzuwerfen. Drittens müssen wir eben unsere Konsummuster kritisch hinterfragen: Wieviel konsumieren wir? Wie lange nutzen wir Güter? Muss alles immer mehr sein?
Neuburger: Ich finde das nicht hinreichend. Beispielsweise auf Fleisch zu verzichten, hilft weder einer kleinbäuerlichen Familie in Brasilien, noch rettet es das Klima. Würden die Europäer und Europäerinnen komplett auf Fleisch verzichten, würde in Brasilien produziertes Soja nicht als Futtermittel nach Europa exportiert werden können. Die brasilianischen Groß- und Mittelbetriebe hätten – sicherlich mit Unterstützung der Regierung – die Möglichkeit, ihre Produktion an den Weltmarkt anzupassen. An den Verdrängungsprozessen würde dies nichts ändern.
Busch: Ich wäre vorsichtig, das zu verallgemeinern. Als Individuen können und müssen wir dazu beitragen, dass der Ausstoß von Treibhausgasen nicht weiter ansteigt. Und uns beispielsweise fragen: Muss ich jedes Jahr mit dem Flugzeug in den Urlaub fliegen oder kann ich nicht mit dem Zug an die Ostsee fahren? Brauche ich jedes zweite Jahr ein neues Smartphone? Das ist ja bei vielen Menschen gang und gäbe. Eine Änderung unserer Gewohnheiten muss übrigens kein Verlust an Lebensqualität bedeuten. An der Ostsee ist es ja auch sehr schön.
Da sind wir an einem interessanten Punkt. Prof. Busch, Sie meinen, der Einzelne kann und muss dazu beitragen, die Welt besser zu machen. Für Sie, Prof. Neuburger, spielt der Beitrag des Einzelnen kaum eine Rolle. Stattdessen fordern Sie, die Strukturen müssten sich ändern. Wenn wir allerdings unseren ökologischen Fußabdruck verbessern, haben wir doch etwas beigetragen, oder?
Neuburger: Das ist aber aus meiner Sicht zu wenig. Ich sehe darin eine politische Strategie, das Individuum in die Pflicht zu nehmen, ohne an den Strukturen etwas zu ändern. Das betrifft beispielsweise Abhängigkeitsstrukturen: Die großbetriebliche Produktion von Soja für den Export nach Europa ist darauf angewiesen, dass in Brasilien Land und Arbeitskräfte billig sind. Wenn wir unsere Konsumgewohnheiten ändern wollen, sollten wir beispielsweise Initiativen der solidarischen Ökonomie hier in Deutschland, aber auch in Brasilien unterstützen, da diese faire Löhne und faire Preise für alle gewährleisten.
Busch: Aber die Hauptumweltprobleme sind in den westlichen Industrienationen verankert. Und da haben wir leider nicht – ich würde ihn gern drücken – den einen Knopf, der die etablierten Produktionssysteme und die Großindustrie umstellt, sondern dies ist ein langer Weg. Auf diesem Weg ist es gut, nicht nur zu argumentieren, was alles wünschenswert wäre, sondern vom Status Quo auszugehen und zu handeln. Wir haben nicht mehr viel Zeit dafür, die CO2-Emissionen zu reduzieren, um die Ziele von Paris zu erreichen. Es reicht nicht mehr zu sagen „wir müssten, wir sollten“, sondern wir müssen jetzt sofort anfangen und das umsetzen, was realisierbar ist. Dazu gehört auch der Einsatz neuerer Technologien.
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