
Die großen Fragen des LebensFrage 28: Warum Bargeld für die Deutschen so wichtig istAuszug aus dem Interview von Lars Haider / Hamburger Abendblatt
3. September 2018, von Online-Dienste

Foto: Michael Rauhe / Hamburger Abendblatt
Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Wolfgang Drobetz (l.) hat zum Fototermin Bär und Bulle mitgebracht, der Soziologe Prof. Dr. Jürgen Beyer ein Kopfkissen.
Sollte man Bargeld zu Hause haben und wenn ja, wie viel? Und wo versteckt man es am besten? Der Soziologe Professor Dr. Jürgen Beyer und der Wirtschaftswissenschaftler Professor Dr. Wolfgang Drobetz kommen über die scheinbar einfachen Fragen zu grundlegenden Antworten über unser Verhältnis zum Geld und den Zahlungsverkehr der Zukunft.
Einerseits weiß man, dass Geld allein schon deshalb nicht unter der Matratze versteckt werden sollte, weil jeder Einbrecher dort zuerst sucht. Andererseits gibt es wirklich Leute, die es genau dort verstecken. Was sagt man denen?
Beyer: Es gibt eine aktuelle Umfrage, bei der Menschen sagen sollten, wo sie ihr Geld zu Hause aufbewahren. Dabei kommt als erste Antwort: in einem Safe oder einem Tresor. Das sagen elf Prozent. Nur ein Prozent der Befragten gibt an, Geld unter der Matratze zu haben.
Aber immerhin: Hochgerechnet auf alle Deutschen wären das rund 800.000 Menschen. Wenn jeder nur 100 Euro unter der Matratze hätte, wären das 80 Millionen Euro – viel Geld. Ist das sinnvoll?
Drobetz: Abseits von allen Sicherheitsaspekten ist es natürlich sinnvoller, das Geld auf einer Bank zu lagern, weil man dort Zinsen bekommt.
So einen großen Unterschied macht das im Moment aber nicht.
Drobetz: Das stimmt. Im Moment sind die Zinsen auf einem Allzeittief, aber das wird ja nicht immer so bleiben. Außerdem könnte man das Geld auch in Aktien oder Anleihen investieren, statt es unter die Matratze zu legen.
Lösen wir uns mal von der Matratze. Ist es überhaupt sinnvoll, größere Mengen Bargeld im Haus zu haben?
Beyer: Fünfzig Prozent der Menschen in Deutschland halten das nach Erhebungen nicht für sinnvoll. Viele Leute haben sich inzwischen darauf eingestellt, bargeldlos zu zahlen.
Wie ist es bei Ihnen? Haben Sie Bargeld zu Hause?
Beyer: Nein.
Drobetz: Ich habe auch keine größeren Bargeldvorräte zu Hause. Aber es ist auch nicht völlig abwegig, eine gewisse Menge an Bargeld zur Hand zu haben. In Krisenzeiten hat Geld eben nicht nur eine Transaktions- , sondern auch eine Wertaufbewahrungsfunktion. Und dann stimmt der bekannte Satz: „Cash is king.“
Beyer: Ich habe kein Bargeld zu Hause, weil ich das Risiko eines Einbruchs für deutlich höher halte als das Risiko des Zusammenbruchs des Einlagensicherungssystems infolge eines Bankencrashs. Die Gründe, warum Menschen Geld zu Hause aufbewahren, sind sehr unterschiedlich. Zuweilen ergibt es sich einfach, dass sich Geld ansammelt. Wenn zum Beispiel ein älterer Mensch sich jeweils eine fixe Summe Geldes von betreuenden Personen nach Hause bringen lässt, dieses dann aber nicht aufbraucht.
Wenn wir die Grundfrage noch einmal erweitern: Ist es denn vernünftig, Liquidität vorzuhalten – das kann man ja auch mit schnell verfügbarem Geld auf einem Giro- oder einem Sparkonto?
Drobetz: Das ist sehr vernünftig. Schon im vierten Jahrhundert hat ein Rabbi gesagt, dass man sein Vermögen in drei Teile aufspalten soll: ein Drittel Land, ein Drittel Handelswaren und ein Drittel bar zur Hand. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass ein Drittel bar zur Hand vielleicht etwas viel ist.
Wobei große Unternehmen wie Apple es ja vormachen: Die US-Firma hat im Moment rund 250 Milliarden Dollar „Cash“ zur Verfügung, also unter der virtuellen Matratze. Das Geld könnte man ja auch anders anlegen …
Drobetz: Dass Firmen wie Apple, Google oder Microsoft so viel Geld vorhalten, auf das sie schnell zurückgreifen können, hat einen einfachen Grund: Die Summen werden gebraucht, um im Fall eines Falles sofort ein anderes Unternehmen kaufen zu können. Dies kann aus strategischen Gründen passend sein, aber auch schlicht dazu dienen, sich zukünftige Wettbewerber vom Leib zu halten. Und dieses Phänomen sehen wir in den USA in einer Geschwindigkeit, die zu einer erstaunlichen Entwicklung führt: Start-Ups schaffen es kaum noch bis zu einer Börseneinführung, weil sie vorher vom Markt gekauft werden.
Wir lernen also: Wer schnell Geld zur Hand hat, kann schnell reagieren – und gute Geschäfte machen.
Drobetz: Das stimmt, und das könnte natürlich ein Vorteil sein, wenn zum Beispiel die Immobilienpreise bei steigenden Zinsen wieder sinken. Wer dann schnell viel Geld flüssig macht, kann flexibler reagieren als jemand, der erst einen Kredit aufnehmen muss. Aber grundsätzlich macht es natürlich wenig Sinn, wenn Sie Geld zu lange liegen lassen, weil Sie langfristig Renditemöglichkeiten verschenken.
Aber vielleicht ist es vielen Menschen, gerade Deutschen, wichtiger, kein Geld zu riskieren als mehr Geld zu haben.
Drobetz: Auch diesen Effekt kennen wir aus der Wissenschaft. Der Nutzen einer zusätzlichen Geldeinheit wird immer geringer. Soll heißen: Wenn Sie 80.000 Euro im Jahr verdienen, was in der Glücksforschung oftmals als sogenannte „Glücksschwelle“ ermittelt wurde, machen Sie weitere 10.000 Euro weniger zufrieden, als wenn sie nur 50.000 Euro im Jahr verdienten. Unendlich viel Geld macht also auch nicht glücklich.
Also ist es doch vernünftig, wenn man Geld irgendwo liegen lässt.
Beyer: Es gibt ja bei solchen Entscheidungen nicht das eine rationale Verhalten. Es kann für einen Menschen durchaus vernünftig sein, sein Geld nicht großartig anzulegen, und sei es nur, weil er sich mit Aktien oder anderem nicht beschäftigen will, weil ihm seine Zeit dafür zu schade ist. Das hat wenig mit Rationalität, sondern mehr mit Prioritäten im Leben zu tun.
Werner Otto hat in einem Abendblatt-Interview mal erzählt, dass er Geld nie in Aktien angelegt habe. Und dann gesagt: „Wenn ich das getan hätte, hätte ich vielleicht noch mehr Geld besessen. Wobei: Das geht ja gar nicht.“
Beyer: Ein interessanter Fall. Es sind ja zuweilen auch vermögende Menschen, die sich für eine höhere Besteuerung aussprechen, weil sie das Gefühl haben, damit der Gesellschaft etwas zurückgeben zu können.
Kommen wir zu dieser Gesellschaft zurück, die ja, zumindest in Deutschland, mehrheitlich die Abschaffung des Bargelds ablehnt. Warum eigentlich? Weil man dann nichts mehr unter die Matratze stecken kann?
Beyer: Das hat viel mit unseren Gewohnheiten zu tun und damit, wie wir den Umgang mit Geld lernen. Kinder erlernen die Verwendung von Geld meist von ihren Eltern und einmal eingeübte Verhaltensweisen ändern sich in der Regel nur sehr langsam. In Ländern wie Schweden, in denen das bargeldlose Bezahlen weiter verbreitet ist, ging die Veränderung von den Händlern aus, nicht von den Kunden.
Trotzdem spricht vieles dafür, dass der bargeldlose Zahlungsverkehr weiter zunehmen wird. Man weiß genau, wofür man sein Geld ausgegeben hat, man muss nicht mehr zur Bank rennen, Geld kann nicht gestohlen werden oder verloren gehen. Das sind viele Vorteile.
Drobetz: Und billiger ist der bargeldlose Zahlungsverkehr auch noch. Aber: Man erreicht damit auch die volle Kontrolle, alle Transaktionen, die Menschen tätigen, können sichtbar werden. Das ist in Deutschland ein wichtiger Punkt. Viele Menschen lehnen die Abschaffung des Bargeldes gerade deshalb ab, weil sie ihre Kauf- und Konsumgewohnheiten eben nicht offenlegen wollen. Man sagt nicht umsonst, dass Geld gedruckte Freiheit ist.
Zahlen Sie vor allem mit Kreditkarte?
Beyer: Das hängt von der Summe und der Situation ab, bei mir ist das sehr gemischt.
Das vollständige Interview lesen Sie im Hamburger Abendblatt:
Interview als Podcast
Das Interview können Sie auch als Podcast des Hamburger Abendblatts auf Soundcloud anhören:
Podcast auf Soundcloud: Warum ist den Deutschen das Bargeld so wichtig?
Kontakt
Abt. 2: Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
Mittelweg 177
20148 Hamburg
Tel.: +49 40 42838-2968
Fax: +49 40 42838-2449
E-Mail: medien"AT"uni-hamburg.de