
Die großen Fragen des LebensFrage 39: Gibt es heute noch Tabus?Auszug aus dem Interview von Yvonne Weiß / Hamburger Abendblatt
26. November 2018, von Online-Dienste

Foto: Mark Sandten / HA
Auf einem Schiff kam das Wort „Tabu“ zu uns nach Europa gesegelt: Prof. Dr. Frank Adloff und Prof. Dr. Ortrud Gutjahr im Gespräch über Tabus und wofür wir sie brauchen.
Früher redete man nicht über sie, heute sind Tabus in aller Munde. Wofür wir sie brauchen – und was derzeit die schlimmsten Tabubrüche sind, erklären Prof. Ortrud Gutjahr und Prof. Frank Adloff von der Universität Hamburg.
Frau Gutjahr, erzählen Sie uns doch bitte einmal, was James Cook damit zu tun hat, dass wir heute das Wort Tabu kennen.
Ortrud Gutjahr: Cook hat das Wort quasi importiert. Der Kapitän hatte auf den polynesischen Inseln ein ihm unerklärliches Verhalten beobachtet. Bestimmte Dinge waren strikt untersagt: Als er etwa einen Häuptling auf sein Schiff einlud, nahm dieser bestimmte Speisen nicht an. Oder eine Frau durfte nicht berührt werden, nachdem sie einen toten König gewaschen hatte. Die Einheimischen benutzten für das, was unbedingt zu unterlassen ist, das Wort Tabu.
Cook wurde dann selbst ein Opfer des Tabubruchs. Bei seiner Landung auf Hawaii verehrten ihn die Einheimischen zunächst wie einen Gott. Als er allerdings von der Insel wegsegelte, ging sein Schiff kaputt. Cook war gezwungen zurückzukehren. Aber kann so jemand ein Gott sein? Die Einheimischen gerieten außer sich. Der großartige Weltumsegler wurde am Strand von Hawaii ermordet, geradezu niedergemetzelt.
Mannomann. Mit einem Mord beginnen wir unser Gespräch. Herr Adloff, wie würden Sie ein Tabu definieren?
Frank Adloff: Ein Tabu hat immer etwas mit Verboten zu tun, aber nicht jedes Verbot ist ein Tabu. Tabus berühren Dinge, die uns auch heute noch heilig erscheinen. Von Émile Durkheim stammt die These, dass es keine Gesellschaft ohne Religion gibt. Selbst in Gesellschaften, in denen die Menschen gar nicht mehr zur Kirche gehen. Religion hat immer etwas mit dem Heiligen zu tun, und Heiliges gibt es in jeder Gesellschaft, das die Menschen durch Tabus schützen wollen.
Wodurch genau unterscheidet sich ein Tabu von einem Verbot?
Adloff: Wir unterscheiden ja beispielsweise zwischen zivilrechtlichen und strafrechtlichen Tatbeständen. Wenn ich meine Rechnung nicht bezahle, dann bekomme ich Mahnungen, werde aber nicht aus der Gesellschaft ausgestoßen oder mit einer moralischen Empörung belegt. Wenn ich aber jemanden umbringe, dann verstoße ich gegen ein Heiligtum, in diesem Fall die Menschenwürde, dieses Tabu ist mit wesentlich härteren Sanktionen verbunden.
Brauchen wir alle diese Spannung zwischen Begrenzung und Grenzüberschreitung?
Gutjahr: Sie kennzeichnet jedenfalls unsere ambivalente Einstellung gegenüber Tabus. Heutzutage werden Tabus als Meidungsgebote verstanden. Warum etwas Bestimmtes zu meiden ist, bleibt manchmal unklar. Denn Meidungsgebote sind von klein an einsozialisiert. So werden sie Teil unserer Alltagsroutinen. Gerade durch ihre gewachsene Selbstverständlichkeit sind sie für Außenstehende schwer nachvollziehbar.
Welche Funktionen haben Tabus für das gesellschaftliche Miteinander?
Adloff: Wir brauchen etwas, das unsere Handlungen miteinander koordiniert. Wir sind freie Menschen, sind nicht instinktgesteuert wie die Tiere, und da braucht es eben Regeln. Ohne Regeln kein Zusammenleben.
Aber wir haben doch Gesetze, reicht das nicht für eine funktionierende Gesellschaft?
Adloff: Tabus wirken aber auf einer noch tieferen Ebene, in der Psyche des Einzelnen. Uns ist klar: Unheil droht, wenn wir diese Grenze übertreten.
Gutjahr: Ja, Tabus haben Schutzfunktion für unsere psychische und physische Integrität. Sie leiten auch jenseits des gesetzlich Vorgeschriebenen unser Verhalten in allen nur denkbaren Beziehungen.
Adloff: Genau. Ich habe Sie beide zum Beispiel nicht einfach angefasst, eine bestimmte Körperdistanz würden wir drei nicht unterschreiten. So schützen wir unseren physischen Raum, da liegt eine imaginäre Grenze. Sie würden sofort spüren, wenn diese überschritten wird, dann fühlen Sie sich plötzlich unwohl, aber Sie können nicht die Polizei holen.
Das vollständige Interview lesen Sie im Hamburger Abendblatt:
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