Wo der Urknall vom Fass kommt
3. Januar 2019, von Hendrik Tieke
Die Universität Hamburg ist ein Zentrum der Universumsforschung: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler simulieren hier die Entstehung der Sterne, analysieren die Bausteine des Kosmos oder erforschen dunkle Materie. Ihre Erkenntnisse beruhen zwar auf komplexen Theorien und Experimenten. Doch mit einfachen Beispielen zeigen sie, wie spannend ihre Arbeit ist – bei vielen Vorträgen und Wissensformaten, die die Hochschule für die Bürgerinnen und Bürger der Hansestadt organisiert.
Erika Garuttis Leidenschaft sind die großen Geheimnisse des Universums. Die Physik-Professorin hat mit Kolleginnen und Kollegen hochsensible Messgeräte entwickelt, mit denen man die Kollision winzigster Teilchen beobachten kann – so genannte „Detektoren“. „Diese winzigen Partikel lassen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufeinanderprallen, und zwar in den Teilchenbeschleunigern des DESY in Hamburg und des CERN bei Genf“, sagt die Forscherin. „Mit unseren Detektoren messen sie dort, welche Energie nach diesen Kollisionen freigesetzt wird, welche neuen Teilchen dabei entstehen und wo sich diese hinbewegen. So können wir Rückschlüsse darauf ziehen, wie das Universum unmittelbar nach dem Urknall aussah.“
Wie viel Masse hat das Universum – und warum kennen wir nur einen Teil davon?
Vor kurzem hat Prof. Garutti gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen den Exzellenzcluster „Quantum Universe“ an der Universität Hamburg begründet, ein bedeutendes Forschungsprojekt, das mit mehreren Millionen Euro von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird. Momentan gehören dem Cluster 50 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Fächern Teilchenphysik, Astrophysik und Mathematik sowie andere Naturwissenschaftler an. Im Laufe von 2019 werden es mehr als 300 sein.
„Im Cluster wollen wir herausfinden, wie groß die Masse des Universums ist, woraus diese Masse besteht und wie sie sich auf die Bewegung der Galaxien und Himmelskörper seit dem Urknall auswirkt“, sagt die Professorin. Mit wissenschaftlichen Modellen und Messverfahren können wir bislang nämlich nur einen sehr kleinen Teil der Masse des Universums genauer bestimmen – Schätzungen zufolge sind das vielleicht fünf Prozent. Und die stammt von Sternen, Planeten, Staub und kleinen Partikeln. Die große Frage aber ist: Was ist mit den restlichen 95 Prozent?“
Warum drehen sich Galaxien so schnell um ihr Zentrum?
Einige Modelle gehen davon aus, dass etwa 70 Prozent der Masse des Universums aus Energie besteht und nicht aus Materie. Als Forscher in den 1990er Jahren anhand von sterbenden Sternen berechneten, mit welcher Geschwindigkeit sich das Universum ausdehnt, stellten sie fest: Es geschieht deutlich schneller als gedacht. Und das muss daran liegen, dass in den Weiten des Alls eine Art gigantisches Energiefeld die Galaxien mit seiner Masse beschleunigt. Weil sie den Einfluss dieses Feldes zwar bestimmen konnten, nicht jedoch das Feld selber, nannten die Forscher diese unheimliche Kraft die „Dunkle Energie“.
Die restlichen 25 Prozent der Masse des Universums bestehen aus sogenannter „Dunkler Materie“. Ihr will Erika Garutti nun im neuen Exzellenzcluster auf die Spur kommen. „Man hat festgestellt, dass sich die Galaxien schneller um ihr Zentrum drehen, als sie es aufgrund ihrer beobachtbaren Masse eigentlich tun müssten“, sagt die Professorin. „In jeder Galaxie muss es also eine zusätzliche Masse geben, die die Anziehungskraft darin erhöht und dabei die Himmelskörper bei ihrer Rotation um das galaktische Zentrum beschleunigt. Vermutlich ist das eine Form von nicht direkt sichtbarer Materie. Wir nennen sie deshalb die ‚Dunkle Materie‘.“
Dunkle Materie aufspüren – mit Detektoren der Universität Hamburg
Garutti will Detektoren entwickeln, mit denen man mehr über diese Materie herausfinden kann. Ihre Idee dahinter: Bestimmte Formen von Dunkler Materie müssen elektromagnetische Wellen aussenden, wenn sie auf „herkömmliche“ Materie treffen, also etwa auf Planeten, Staubpartikel oder Atome. Ähnlich wie Radiowellen wird man sie daher mit einer Art Empfänger messen können. Genau solche Empfänger will die Physik-Professorin mithilfe von Ingenieuren und Informatikern bauen. „Wir hoffen, damit etwas über die Gestalt von dunkler Materie herausfinden zu können“, sagt Garutti. „Besteht sie aus einzelnen massiven Elementarteilchen? Oder müssen wir sie uns eher als eine Art Masse-Feld vorstellen, dass uns alle umgibt?“
Der Urknall, das Universum, seine Materie: Das sind hochkomplexe wissenschaftliche Themen. Doch Garutti weiß, wie man sie für jeden verständlich erklärt und auch Nicht-Wissenschaftler dafür begeistern kann. Sie ist eine der vielen Forscherinnen und Forscher der Universität Hamburg, die ihr Wissen an die Bürgerinnen und Bürger der Hansestadt weitergeben. Letztes Jahr etwa hat sie an einer Theke am Beispiel eines Rosinenkuchens den Urknall und den Aufbau des Universums erklärt – bei „Wissen vom Fass“, einer Vortragsreihe der Universität Hamburg und des DESY. Bei diesem Format stellen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in mehr als 40 Kneipen und Bars die spannendsten Facetten ihrer Forschungen vor – und bieten den Teilnehmenden viel Stoff für Fragen und Diskussionen.
Sind beim Urknall zwei Universen entstanden?
„Ich liebe es, mit Menschen außerhalb der Fachwelt über meine Forschung zu sprechen“, sagt Garutti. „Denn natürlich fragen sich auch Nicht-Wissenschaftler, woher wir kommen und was da draußen in den unendlichen Weiten des Alls geschieht. Weil sie aber andere Berufe haben und deshalb anders an Probleme herangehen als ich, geben sie mir immer wieder interessante Anregungen.“ So fragte ein Zuhörer bei Wissen vom Fass, ob es nicht sein könnte, dass beim Urknall zwei Universen entstanden sind – eines, bei dem die Zeit vorwärts läuft, eines, bei dem sie rückwärts läuft.
„Diese Frage hatte sich in der Physik noch niemand gestellt – dabei ist sie berechtigt“, sagt die Professorin. „Schließlich gibt es die Dimension der Zeit erst seit dem Urknall. Und wir stellen sie uns meist nur in eine Richtung laufend vor, weil wir sie ja selber so erleben. In meiner Arbeitsgruppe haben wir jedenfalls noch einige Zeit über diesen Denkanstoß diskutiert.“ Dieses Beispiel zeigt: Wenn Wissenschaft auf interessierte Bürgerinnen und Bürger trifft, dann erweitern beide ihren Horizont. Deshalb schafft die Universität Hamburg regelmäßig solche Begegnungen – in der Stadt an ungewöhnlichen Orten wie bei Wissen vom Fass, oder auf dem Campus mit öffentlichen Vorträgen und Diskussionsrunden. Der Eintritt ist fast immer frei – und jeder ist herzlich willkommen.
Der Exzellenzcluster Quantum Universe und die Erforschung des Alls
- „Quantum Universe“ ist einer von vier Exzellenzclustern der Universität Hamburg.
- Einen Einblick in Prof. Erika Garuttis Forschung gibt es hier.
- Ein Bericht über ihren Vortrag bei „Wissen vom Fass“ findet sich hier.
Wissenschaft für alle
„Wissen vom Fass“ ist nur eines von vielen Formaten, bei denen die Einwohnerinnen und Einwohner der Hansestadt auf die Forscherinnen und Forscher ihrer Universität treffen können.
- Beim Allgemeinen Vorlesungswesen erhalten sie Einblicke in die spannendsten Themen der Wissenschaft – von der Physik des Alltags bis zur Politik Mahatma Ghandis, in über 30 wöchentlich stattfindenden Vorlesungen.
- Bei der Talkshow „Wahnsinn trifft Methode“ diskutieren Hamburgerinnen und Hamburger mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Thalia-Theater über ungewöhnliche Themen wie: Was macht Schimpfworte aus? Oder: Was ist Wollust?
- Die Kinder-Uni, die zusammen mit der Claussen-Simon-Stiftung angeboten wird, weckt den Forschungsgeist bei den jüngsten Hamburgerinnen und Hamburgern.
- Und im Jubiläumsjahr 2019 macht die Universität Hamburg sogar die ganze Stadt zum Campus – mit einem Riesenprogramm an Veranstaltungen.
Downloads
Hier können Sie alle Plakate der Kampagne als PDF herunterladen:
- Plakat: Wo hinter allen Zeichen eine Geschichte steht (PDF)
- Plakat: Wo Roboter mehr Tore als Profifußballer schießen (PDF)
- Plakat: Wo man auf der Reeperbahn nicht nur schräge Vögel findet (PDF)
- Plakat: Wo Nanoteilchen für Miniaturwunder sorgen (PDF)
- Plakat: Wo man bei Schietwetter zum Klimawandel forscht (PDF)
Kontakt
Prof. Dr. Erika Garutti
Universität Hamburg - Fachbereich Physik - Elementarteilchen- und Astrophysik
Luruper Chaussee 149
22761 Hamburg
Tel.: +49 40 8998 3779