
Die großen Fragen des LebensFrage 43: Warum schenken wir?Auszug aus dem Interview von Yvonne Weiß / Hamburger Abendblatt
22. Dezember 2018, von Online-Dienste

Foto: Mark Sandten / HA
Silke Boenigk mit einem Stimmzettel des Hamburger Spendenparlaments, deren 3000 Mitglieder abstimmen, welches Projekt gefördert wird. Philipp Degens hält eine nur in London gültige Währung.
Geben und geben lassen: Wie viel Euro muss ich auf den Tisch legen, um meine Zuneigung zu bekunden? Muss ich überhaupt Geld ausgeben, oder was stellt heutzutage ein gutes Geschenk dar? Prof. Dr. Silke Boenigk und Dr. Philipp Degens, beide an der Hamburger Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, erklären eine uralte Tradition.
Was verschenken Sie zu Weihnachten?
Prof. Dr. Silke Boenigk: Ich verschenke Zeit. Das ist unser höchstes Gut, insofern werde ich Kinokarten besorgen und dann mit meinen Liebsten eine schöne gemeinsame Zeit im Kino verbringen.
Dr. Philipp Degens: Weihnachten erleben viele als Fest des Überflusses, aber Zeit wird knapper und dadurch wertvoller. Ich will mein Geschenk nicht in der Zeitung verraten und damit die Überraschung kaputt machen, aber letztes Jahr habe ich Konzertkarten verschenkt.
Welche Präsente haben für die Menschen abseits ihres Preises den meisten Wert?
Boenigk: In vielen Kulturen ist Schenken eine Tradition. Das hat mit Beziehungspflege zu tun, Schenken ist eine Form von Kommunikation. Ein Geschenk, das achtsam ausgewählt wurde, ist viel schöner als etwas sehr Teures. Es muss also eine Überlegung dahinterstecken. Wenn es nur für den Schenkenden einfach zu besorgen war, dann hat das Geschenk keinen so großen Wert.
Degens: Gelungene Geschenke definieren sich nicht über den Preis. Wie teuer etwas ist, spielt kaum eine Rolle. Im Gegenteil: Ein zu teures Präsent stellt die Beziehung vor Herausforderungen: Kann ich das erwidern? Was will die Person mir damit sagen? Hat sie vielleicht ein schlechtes Gewissen? Unpassende Geschenke erzeugen Druck. Die soziale Beziehung kann von einer ausgeglichenen in eine hierarchische abrutschen. Die zu großzügige Schenkerin stellt sich bewusst oder unbewusst über die andere Person.
Verstehen Sie die Kritiker, die Weihnachten als Konsumorgie abtun?
Degens: Einerseits schon. Viele Leute haben das Gefühl, sie bekommen zu viel. Es gibt deshalb die Gegenbewegung in manchen Milieus, sich bewusst nichts zu schenken. Auf der anderen Seite hat auch das Beschweren über zu viele Geschenke zugenommen, es scheint schon ein Ritual zu sein, das zu Weihnachten dazugehört. Konsumkritisch könnte man überlegen: Wenn jemand sagt, er wolle keine Geschenke, weil er schon alles habe, dann darf die Frage erlaubt sein, ob derjenige nicht über das ganze Jahr schon zu viel konsumiert.
Warum schenken wir überhaupt?
Boenigk: Schenken hat verschiedene Motive, die ähneln denen vom Spenden. Zum einen handelt es sich häufig um Altruismus, um Nächstenliebe. Doch es gibt noch andere Mechanismen, einer nennt sich Warm-Glow-Effekt. Wir fühlen uns gut, wenn wir etwas verschenken oder spenden. Da stellt sich ein Glücksgefühl ein. Ein anderes Motiv lautet Kontaktpflege. Wenn ich etwas für andere tue, ist das auch gut für mich selbst. Dies gilt vor allem beim Freiwilligen-Engagement. Und dann gibt es beim Spenden auch steuerliche Vorteile.
Degens: Wenn Schenken gelingt, äußert man sich gegenseitig Achtsamkeit und Wertschätzung. Ein bisschen größer gedacht sind Geschenke unter Fremden oder zwischen Gemeinschaften, die sich nicht garantiert wohlgesonnen sind, eine Möglichkeit, sich friedlicher Absichten zu versichern. Geschenke dienen der Schaffung verlässlicher sozialer Beziehungen. Was man intuitiv immer so trennt, also Altruismus vs. Egoismus, diese Motive kann man beide in Geschenken oder Gaben finden.
Bei dieser Form des Warenerwerbs findet eine interessante psychologische Interaktion statt, denn ein Geschenk hat immer emotionale Auswirkungen auf zwei Personen, den Geber und den Nehmer, oder?
Degens: Ganz klar. Es kommt nicht nur darauf an, was die Schenkende sich bei der Auswahl gedacht hat, sondern ob es von der Empfängerin auch so angenommen wird. Kann das Gefühl transportiert werden? Hat sich der Schenkende in mich hineinversetzt? Oder fand lediglich eine Projektion statt: Es wurde verschenkt, was dem Schenkenden selbst gut gefällt. Die Frage, ob etwas ein gutes Geschenk ist, die wird vom Empfänger beantwortet, nicht vom Verschenker.
Boenigk: Derjenige, der schenkt oder spendet, kann sehr unterschiedliche Erwartungen haben. Bei einer anonymen Spende verteilt jemand Geld und möchte unerkannt bleiben, er will also keine Reaktion. Bei der traditionellen Spende hingegen findet eine Rückkopplung statt, da erwartet man schon eher ein Danke. Das geht bis zum sog. „entrepreneurial“ (unternehmerischen) Spenden, der Spendende möchte dann bei bestimmten Projekten mitmachen und mitentscheiden. Die Wirkung und Effekte seiner Förderung möchte er direkt erfahren. Man sollte sich selbst manchmal beim Schenken oder Spenden vielleicht vorab die Frage stellen: Was erwarte ich?
Degens: Das zeigt, dass es beim Geben nicht nur um zwei Personen geht. Als Drittes ist das gesellschaftliche Umfeld im Spiel. Ein Beispiel: Spenden kann man steuerlich absetzen, institutionelle Rahmenbedingungen bestimmen also mit, ob und in welcher Form gespendet wird. Bei Blut- oder Organspenden haben wir gesellschaftliche Regelungen, die das Spendeverhalten beeinflussen.
Sind wir Deutschen großzügige Spender?
Boenigk: Die GfK-Studie „Bilanz des Helfens 2018“ zeigt: Die privaten Spenden sind von 2016 auf 2017 deutlich zurückgegangen. Wir haben viel weniger Spender als früher. Warum die Zahlen rückläufig sind, das könnte am sogenannten Intention-Behaviour Gap liegen, d. h. an sich möchte man spenden, aber schafft es doch irgendwie nicht. Die Frage ist, wie man das soziale Engagement fördern könnte, denn die Projekte und Nonprofit-Organisationen sind auf die Gelder angewiesen. Hamburg hat eine Engagement-Strategie 2020 ausgearbeitet, da sind viele gute Ideen drin, wie soziales Engagement gestärkt werden kann wie die öffentliche Anerkennung von Freiwilligen zu stärken oder Informationszentren aufzubauen: Auf der Aktivoli-Messe kann man sich beispielsweise immer sehr gut übers Thema Freiwilligenarbeit informieren. Derartige Themen kann man auch studieren. Im Fachbereich Sozialökonomie habe wir einen neuen Masterstudiengang mit 60 Masterplätzen eingeführt, der heißt interdisziplinäre Public- und Nonprofit-Studien und im Bachelor Sozialökonomie geht es u. a. auch um diese Themen.
Das vollständige Interview lesen Sie im Hamburger Abendblatt:
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