
Die großen Fragen des LebensFrage 45: Wie erreichen wir Ziele?Auszug aus dem Interview von Yvonne Weiß / Hamburger Abendblatt
7. Januar 2019, von Online-Dienste

Foto: Thorsten Ahlf / Hamburger Abendblatt
Prof. Dr. Braham wirft Legosteine, die mit einem guten Plan zu etwas Großem werden können; Prof. Dr. Oettingen hat am Schlüsselbund einen Anhänger der Mental-Strategie WOOP.
Gerade mal ein paar Tage jung ist 2019, und statistisch gesehen haben sich viele Menschen bereits jetzt schon wieder von ihren guten Vorsätzen verabschiedet. Warum ist es so schwer, Ziele zu verfolgen, wie gelingt es uns besser? Psychologie-Professorin Dr. Gabriele Oettingen und Philosophie-Professor Dr. Matthew Braham von der Universität Hamburg geben Tipps und verraten, warum positives Denken schaden kann.
Was nehmen Sie sich für 2019 vor?
Prof. Matthew Braham: Den Haufen von Anträgen und Korrekturen endgültig zu beherrschen. 31 Hausarbeiten, vier Bachelor- und zwei Masterarbeiten liegen auf meinem Schreibtisch, da muss ich schneller durchkommen als bisher.
Sind gute Vorsätze eigentlich eine gute Idee?
Braham: Meine persönliche Antwort lautet: Ohne Ziele kommen wir nicht vorwärts. Wir müssen planen, das brauchen Menschen. Philosophisch würde ich antworten, dass man zunächst definiert, was ein guter Vorsatz ist. Es gibt Vorsätze, die will niemand hören, zum Beispiel, jemanden töten zu wollen. Das ist kein guter Vorsatz für uns - für Menschen, die radikalisiert sind, sehr wohl.
Es scheint ein urmenschliches Bedürfnis zu sein, von Zeit zu Zeit Tabula rasa zu machen und neu anzufangen. Woran liegt das?
Prof. Gabriele Oettingen: Wir haben Studien zum Beenden von Zeitabschnitten gemacht, etwa zum Beenden der Schulzeit, eines Wochenendes oder einer Konversation. Wenn die Probanden das Gefühl hatten, sie hätten alles getan, um die Schulzeit, das Wochenende oder das Gespräch gut abzuschließen und sich bewusst davon verabschiedeten, dann fühlten sie sich nicht nur besser, sondern kamen auch besser in die nächste Phase. Das sollte auch für den Jahreswechsel gelten. Wer denkt, er hätte alles getan, was er noch hätte tun können, um das Jahr 2018 rund abzuschließen, der wird 2019 schneller durchstarten. Das runde Ende, das Abschließen, hat eine Bedeutung. Man hängt dann im neuen Lebensabschnitt nicht dem Alten hinterher, sondern konzentriert sich auf das Neue. Dinge, die nicht abgeschlossen sind, kreisen einem im Kopf herum, die wird man nicht so leicht los.
Die typischen Neujahrsvorsätze der Deutschen heißen: abnehmen, mehr Zeit für die Familie, mit dem Rauchen aufhören, mehr Sport treiben.
Oettingen: Wünsche können Ausdruck unserer Mangelzustände sein. Wenn Personen Sinnlosigkeit verspüren, werden sie sich eine bedeutsamere Arbeit wünschen, oder wer Mangel an zwischenmenschlichen Beziehungen hat, der wird über eine Zukunft fantasieren mit mehr Zeit mit der Familie oder mit Freunden.
Laut einer Studie des Instituts für Demoskopie halten sich lediglich 13 Prozent aller Menschen an ihre Neujahrsvorsätze. Woran scheitern sie?
Braham: Vorsätze kosten etwas: Zeit. Wer mehr Sport betreiben will, muss abwägen, woher er die Zeit nimmt. Soll ich sie von meinen Verpflichtungen gegenüber der Familie wegnehmen? Wir müssen entscheiden. Und wir müssen uns fragen, ob es sich um „echte“ Vorsätze handelt oder ob sie überwiegend durch die Gesellschaft geprägt wurden. Zum Beispiel gehört sportlich und schlank zu sein zu unserem positiven Gesellschaftsbild, aber wer Bewegung hasst, der wird bei dem Versuch, einen solchen „unechten“ Vorsatz umzusetzen, unter einer Dissonanz leiden und daher scheitern.
Welche Rolle spielt das Verantwortungsgefühl beim Umsetzen meiner Ziele, welche Disziplin?
Oettingen: Mit Disziplin ist es oft schwierig. Ein Ziel zu erreichen kann oft besser durch eine mentale Strategie erreicht werden als durch eine von außen aufgestülpte Disziplin. Der erste Schritt für eine erfolgreiche Anwendung der Strategie liegt darin zu erspüren, was man wirklich will. Wer sich darüber im Klaren ist, handelt anders, dann würde die Statistik mit den gescheiterten Neujahrsvorsätzen anders ausfallen. Es gilt, weniger darüber nachzudenken, was der Nachbar so macht und mehr. Was macht mir Spaß, wo zieht es mich hin, womit beschäftige ich mich gerne? So generiert man einen machbaren Wunsch.
Hilft es, seine Vorsätze aufzuschreiben? Oder müssen Vorsätze weniger vage sein: mehr Sport treiben beispielsweise ist ja nicht besonders konkret.
Braham: Das Implementieren von Vorsätzen ist ein rationaler Prozess. Wir müssen eine Präferenzordnung erstellen und schauen, was unsere Vorsätze kosten. Es handelt sich dabei um einen ökonomischen Prozess. Wir meinen, emotionale Wesen zu sein, aber wenn es um das Erreichen von signifikanten Ziele geht, steht die Rationalität im Vordergrund. Menschen, die ihre Ziele erreichen, sind ziemlich rational. Das bedeutet nicht, dass sie langweilig oder emotionslos sind, sondern sie beherrschen einfach die instrumentellen Prozesse.
Oettingen: Vage und idealisierend in die Zukunft zu denken, stört tatsächlich. Wenn man einen Wunsch erspürt und diesen dann knapp formuliert, mit drei, vier Wörtern, verliert man sich nicht so leicht in vagen Gedanken.
Das Jahr ist noch sehr jung, und ich kenne jetzt schon Personen, die ihre Vorsätze wieder aufgegeben haben.
Oettingen: Das verwundert mich nicht. Wünsche und Zukunftsträume sind hilfreich, um mir im Moment die Stimmung zu verbessern oder um die verschiedenen Möglichkeiten der Zukunft mental zu explorieren. Aber wenn es um die Umsetzung geht, sind Zukunftsträume nicht nur nicht hilfreich, sondern sogar schädlich.
Ich dachte immer, positives Denken helfe bei der Erreichung von Zielen. Stimmt das überhaupt nicht?
Oettingen: Das kommt darauf an. Unsere Studien zeigen, dass das reine positive Denken über die Zukunft tatsächlich ein Problem für das Handeln ist. Je positiver Menschen über ihre Zukunft fantasiert haben, desto weniger Erfolg hatten sie bei der Umsetzung. Je positiver sich Hochschulabsolventen ihre beruflichen Chancen ausmalten, desto weniger Stellenangebote erhielten sie, und desto weniger Geld haben sie verdient. Selbst nach zwei Jahren noch. Aber sie hatten auch weniger Bewerbungen geschrieben. Oder bei romantischen Beziehungen: Je positiver sich Studierende vorgestellt hatten, mit einer bestimmten von ihnen favorisierten Person zusammenzukommen, desto weniger wahrscheinlich war es, dass sie drei Monate später tatsächlich eine romantische Beziehung eingingen. Bei Hüftgelenksersatzpatienten beobachtete wir, je positiver diese sich vor der Operation eine schnelle Genesung vorstellten, desto schlechter konnten sie zwei Wochen nach der Operation gehen. Wir haben dieses Befundmuster in vielen weiteren Lebensbereichen beobachtet. Das Genießen im Moment hat seinen Preis.
Schwelgen in positiven Zukunftsszenarien kann also Erfolg verhindern.
Oettingen: Genau. Weil wir uns dann weniger bemühen. Wir werden passiver. Wir scheinen mental schon angekommen, wähnen uns bereits am Ziel. Und dann entspannen wir uns, unsere Energie geht runter. Energie ist aber genau das, was wir brauchen, um Ziele zu erreichen.
Braham: Das Problem bei positivem Denken ist, man behauptet zu viel und hört auf nachzudenken und die Welt mit kritischer Reflexion zu untersuchen. Ob wir unsere Ziele erreichen oder nicht, hängt davon ab, wie wir die Außenwelt betrachten. Wenn ich die Hoffnung habe: “Alles wird gut!“, dann passe ich nicht genügend auf. Ich muss immer mit Nachdenklichkeit vorgehen und mich an der Umwelt orientieren.
Frau Oettingen, Sie haben eine vierstufige Strategie entwickelt namens WOOP. Wofür stehen die Begriffe?
Oettingen: WOOP steht für: Wish, Outcome, Obstacle, Plan. Es ist ein Akronym für eine vierstufige Imaginationstechnik, die auf unseren jahrzehntelangen experimentellen Arbeiten zum positiven Zukunftsdenken gründet. Wenn eine Person WOOP anwendet, generiert sie im ersten Schritt einen Wunsch. Dann identifiziert die Person den Outcome, das Allerschönste also, das sie mit der Verwirklichung ihres Wunsches verbindet, und stellt sich diesen Outcome lebhaft vor. Wunsch und Outcome (oder Allerschönstes) geben dem Handeln die Richtung vor, man weiß nun, wohin man gehen will. Doch wenn wir im Wunschdenken verweilen, bleiben wir auf den Stufen sitzen und tun nichts. Deshalb kommt das zweite O ins Spiel: Obstacle, also das innere Hindernis. Die Person identifiziert jetzt das innere Hindernis, das der Wunscherfüllung im Wege steht und stellt sich dieses ebenfalls lebhaft vor. Sie fragt sich: Was hält mich in der Realität von der Erfüllung des Wunsches ab? Es fällt nicht immer leicht, dieses innere Hindernis zu identifizieren. Es kann eine Emotion, eine irrationale Überzeugung oder eine schlechte Angewohnheit sein. Dieses innere Hindernis hält man dann so vor Augen, dass man es schon fast im Bauch spürt.
Wir brauchen also den Schmerz des Widerstandes?
Oettingen: Richtig, sonst kommen wir über den Widerstand nicht drüber. Auch werde ich nicht entdecken, wie ich mein Hindernis erfolgreich überwinden kann. Und dieses Entdecken ist wichtig für den vierten Schritt von WOOP. Das P steht für Plan, einen ganz bestimmten Plan. Es ist ein Wenn-Dann-Plan, eine Technik, die von Peter Gollwitzer entwickelt wurde. In Verbindung mit mentalem Kontrastieren sieht ein Wenn-Dann-Plan so aus: Wenn das innere Hindernis auftritt, dann werde ich eine Handlung zur Überwindung des Hindernisses ausführen. Es ist wichtig, im Vorfeld das Verhalten zur Überwindung des Hindernisses festzulegen, dann können sie in der Situation schnell handeln, ohne kognitive Anstrengung. Die vierstufige Imaginationstechnik ist ganz einfach durchzuführen, dauert nur fünf bis zehn Minuten und hat nicht bewusste Konsequenzen. Man programmiert sich, automatisch zu handeln. Das funktioniert.
Braham: Eigentlich beschreiben Sie da gerade eine Form der Entscheidungs- und Spieltheorie. Und zwar das Spiel gegen das eigene zukünftige Selbst. Wer sich bei einem Fitnessstudio anmeldet, der macht das wegen der Verbindlichkeit. Ich habe Geld investiert, also werde ich wohl hingehen. Aber an wen richtet sich diese Verbindlichkeit? Eine Antwort: an mein zukünftiges Selbst.
Aber es gibt doch auch Hindernisse, die nichts mit mir zu tun haben, die von außen kommen.
Oettingen: Schon. Aber sagen wir, Sie haben einen Chef, der seine Launen hat. Fragen Sie sich: Was ist in mir, dass ich mich mit ihm nicht verstehe oder dass ich unter seinem Verhalten so leide. Mit WOOP kann jeder seine Rolle im Umgang mit dem äußeren Hindernis erkennen. Wenn Sie Ihre Rolle verstehen, können Sie klären, wie Sie das Hindernis am besten überwinden können. Entdecken Sie allerdings, dass das Überwinden des Hindernisses im Moment wirklich zu kostspielig oder vielleicht auch ganz einfach nicht möglich ist, dann passen sie den Wunsch an, verschieben seine Erfüllung auf einen besseren Zeitpunkt oder verabschieden sich ganz von der Wunscherfüllung - guten Gewissens. Ich wollte zum Beispiel immer Französisch lernen, habe das gewoopt und festgestellt, dass dieser Wunsch gar keinen Platz in meinem Leben hat, weil ich zu viel zu tun habe. Nun habe ich kein so schlechtes Gewissen mehr, dass ich kein Französisch spreche.
Wäre WOOP auch was für Sie, Herr Braham?
Braham: Es handelt sich meiner Ansicht nach um einen strukturierten Entscheidungsprozess. Und zu den Hindernissen: In unserer liberalen Welt gibt es einen einfachen Grundsatz: Solange es niemanden verletzt, darf man alles tun. Die meisten Probleme liegen also bei einem selbst.
Oettingen: Es klingt normal für Sie, aber die wenigsten Menschen gehen so strukturiert vor. Eine ganze Reihe von Studien zeigen das gleiche Befundmuster: Nur circa zehn bis 20 Prozent der Probanden generierten spontan die mentale Kontrastierung von Wunsch und Hindernis. Das Schwelgen in positiven Fantasien ist dagegen sehr verbreitet. Wir haben keine Studie mit Politikern gemacht. Aber vielleicht ist das Schwelgen sogar dort verbreitet.
Das vollständige Interview lesen Sie im Hamburger Abendblatt:
zum Interview: Wie erreichen wir Ziele?
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