
Die großen Fragen des LebensFrage 53: Was passiert in der zweiten Lebenshälfte?Auszug aus dem Interview von Edgar S. Hasse / Hamburger Abendblatt
4. März 2019, von Online-Dienste

Foto: Roland Magunia / Hamburger Abendblatt
Für ein gesundes und lustvolles Leben: Prof. Dr. Frank Sommer, weltweit erster Professor für Männergesundheit, und die Diplom-Psychologin Cordula Endter.
Längst stimmt das traditionelle Bild der „Alten“ nicht mehr. Sie sind statt dessen aktiv, lebenslustig und häufig fit – ganz anders als vor 50 Jahren. Kaum einer weiß das besser als Professor Frank Sommer, der weltweit erste Universitätsprofessor für Männergesundheit am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Die 60-Jährigen erscheinen ihm heute zuweilen als „Halbjugendliche“. Mit ihm und der Kulturanthropologin Cordula Endter sprach das Abendblatt über die Chancen des Älterwerdens in der zweiten Lebenshälfte – und die Risiken.
Professor Sommer, befinden Sie sich bereits in der zweiten Lebenshälfte?
Frank Sommer: Ja, ich bin 51 Jahre jung.
Wann beginnt die zweite Hälfte des Lebens?
Sommer: Das ist immer auch ein individuelles Lebensgefühl. Aus medizinischer Sicht beginnt sie zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr. Es gibt allerdings auch 35-Jährige, die in ihrem physiologischen Alterungsprozess so weit fortgeschritten sind, dass sie sich praktisch in der zweiten Lebenshälfte befinden. Und es gibt 60-jährige, die von Geist, Körper und Lebenseinstellung her so fit sind, dass man den Eindruck hat: Das sind ja noch „Halbjugendliche“.
Was muss passieren, dass man mit 35 Jahren schon so verbraucht ist?
Sommer: Ich gebe Ihnen das Beispiel eines Patienten. Der hat mit 18 Jahren Abitur gemacht und sich seit der Schulzeit nicht mehr sportlich betätigt. Er ist beruflich erfolgreich, arbeitet viel, entsprechend ist seine Ernährung schlecht. Pizza und Fastfood.
Abendblatt: Frau Endter, wie nehmen Sie als Kulturwissenschaftlerin das Thema der zweiten Lebenshälfte wahr?
Endter: Es gibt verschiedene Phasen des Übergangs in das Alter. Das ist nicht allein der Übertritt in den Ruhestand. Es gibt das schöne Sprichwort: Alt sind immer die anderen. Damit wird das Alter individuell abgewehrt. Dabei hat sich doch das Bild des Alters seit den 1980er-Jahren stark geändert. Früher hieß es: Mit Eintritt in den Ruhestand wird man auf das Altenteil geschoben. Das ist heute nicht mehr wirkmächtig. Heute wird stärker Wert auf Kompetenzen gelegt, die mit dem Alter zunehmen.
Werden diese „jungen Alten“ auch respektiert?
Endter: Die jungen Alten sind gar nicht als die Alten dechiffrierbar. Sie gleichen sich den Jüngeren an.
Was verändert sich in der zweiten Hälfte aus medizinischer Sicht?
Sommer: Die Hormone. Bei Frauen geschieht das eher schlagartig, bei Männern ist es ein längerer Prozess. Es kommt zu Müdigkeit, Abgeschlagenheit und Libido-Verlust.
Um welche Hormone geht es?
Sommer: Frauen haben das Königinnen-Hormon Östrogen, Männer das Testosteron. Frauen haben aber auch Testosteron. Das ist wichtig für Antrieb, Lust und Freude am Leben. Männer haben auch Östrogene. Die sind u.a. wichtig für Knochendichte.
Und diese Hormone werden weniger?
Sommer: Die Messwerte nehmen ab. Die Hoden haben in der Regel nicht mehr die Kraft, so viel Testosteron zu bilden.
Was kann man dagegen tun?
Sommer: Es gibt eine Reihe von Mitteln. Wer körperlich aktiv ist, sich regelmäßig bewegt, hat klare Vorteile. Es geht nicht um den Marathon, sondern um die kleinen Bewegungen am Tag. Ich rate meinen Patienten zu Schrittzählern. Man sollte rund 10.000 Schritte am Tag gehen. Oder 70.000 Schritte in der Woche. Wichtig sind muskuläre, Balance- und Koordinationsübungen, gesunde Ernährung und mentale Fitness.
Helfen Wundermittel wie Ginseng?
Sommer: Wissenschaftliche Studien haben ergeben, dass das mehr oder wenige Placebo-Effekte sind. Wenn Sie alle Studien zusammennehmen, dann kommt man zu diesem Resultat. Dennoch ist nicht zu vernachlässigen, dass sich die Leute einfach besser durch den Konsum dieser Nahrungsergänzungsmittel fühlen.
Beim Eintritt in die zweite Lebenshälfte hilft bestimmt auch ein geregelter Tagesablauf?
Sommer: Aus medizinischer Sicht ist das super wichtig. Ein fester Rhythmus schützt vor Lethargie.
Endter: Es sind Aktivitäten, die man schon früher angefangen haben sollte. Wenn ich Sport erst mit 65 Jahren anfange, hat man diesen Effekt nicht.
Sommer: Grundsätzlich gebe ich Ihnen recht. Es gibt das große Aber. Wir haben Studien gemacht mit Männern zwischen 60 und 89 Jahren, die sich jahrzehnte- lang nicht viel bewegt haben. Das Ergebnis: Wenn man sich nur zwei Kilometer am Tag mehr bewegt, sinkt die Sterblichkeitsrate signifikant. Auch das Training der Muskulatur ist wichtig, gerade für die Prophylaxe von Stürzen.
Welche Übungen empfehlen Sie?
Sommer: Wir haben die „3 mal 3 mal 3“-Übung erfunden. Dreimal in der Woche werden drei Übungen für drei Minuten gemacht: Liegestütz, Kniebeuge und eine Zugübung. Wer das noch nie gemacht hat, muss anfangen, die Liegestütz auf den Knien zu machen.
Endter: Das ist bestimmt eine gute Sache. Nach meiner Wahrnehmung sind es Frauen, die in der zweiten Lebenshälfte fitter als Männer sind.
Frauen gehen auch häufiger zur Vorsorge ...
Endter: Die Männer haben mit dem Alter allerdings viel weniger Probleme. Sie nehmen es leichter an als die Frauen. Sie haben Schwierigkeiten, weil das Bild der älteren Frauen nicht dem Körperbild der auf Jugendlichkeit fixierten Gesellschaft entspricht. Das männliche Alter ist dagegen mit Statusgewinn verknüpft. Der ältere Mann hat häufig etwas erreicht, was finanziell messbar ist. Die weibliche Berufsbiografie heutiger älterer Frauen ist dagegen nicht immer vom Erwerbsleben gekennzeichnet. Und für beide Geschlechter gilt noch immer: Beige ist die Farbe des Alters.
Was müsste sich ändern?
Endter: Es wird sich definitiv etwas ändern, weil Frauen berufsbiografisch heutzutage andere Wege gehen. Dadurch werden sie selbstbewusster und verschaffen sich jenseits ihres Körpers Anerkennungsquellen.
Sommer: Männer haben in Industrienationen trotzdem Schwierigkeiten mit dem physiologischen Alterungsprozess. Dazu gehören Libidoverlust und Erektionsstörungen. Viele fürchten den Verlust ihrer Vitalität.
Wie können Sie diesen Männern helfen?
Sommer: Man muss zuerst die Ursachen erforschen. Beim Mann ist eine Erektionsstörung, wenn sie auf einer Störung der Blutgefäße beruht, ein Hinweis darauf, dass er vier bis acht Jahre nach der Erstdiagnose einen Herzinfarkt oder Schlaganfall bekommt. Da können wir helfen.
Männer landen in der zweiten Lebenshälfte häufig in einer Midlifecrisis.
Sommer: Das ist sehr unterschiedlich. Ich begegne immer wieder Patienten, die in dieser Zeit eine neue Familie gründen. Denen ist es dann besonders wichtig, dass sie geistig, körperlich und beruflich lange fit bleiben. Gerade wenn ein neuer Kinderwunsch besteht. Der Druck auf die Männer wird dann stärker, gerade dann, wenn er deutlich älter als die Frau ist.
Endter: Es ist immer noch so, dass die Frau dann eines Tages diesen Mann pflegen muss. Das führt zu einer starken körperlichen Belastung. Kinder und Enkelkinder sind Faktoren, die das typische Altern zwar nicht aufheben, aber verzögern und die Lebenswartung erhöhen können. Wir nennen das den Enkelkinder-Effekt.
Wo liegt bei Männern die Altersgrenze für den Kinderwunsch?
Sommer: Es gibt 76-jährige Männer, die ein Kind wollen. Wenn sich jemand dafür entscheidet und sich über alle Konsequenzen und sein eigenes Alter Gedanken gemacht hat, ist das aus meiner Sicht völlig in Ordnung, diesem Wunsch nach zu gehen. Wenn die Frau damit einverstanden ist.
Welche mentale Einstellung ist für die zweite Lebenshälfte empfehlenswert?
Endter: Das eigene Alter anzunehmen, ist die beste Lebenseinstellung. Und soziale Kontakte zu pflegen. Der Wunsch älterer Menschen ist, dass sie so sein wollen wie all die anderen. Sie wollen nicht das Seniorenhandy haben, sondern das schicke Smartphone, das sie bedienen können. Lebensqualität ist auch bei älteren Menschen Lifestyle. Dazu gehören Reisen, sich etwas gönnen können – und dafür auch Anerkennung zu bekommen bei Freunden und in der Familie.
Das vollständige Interview lesen Sie im Hamburger Abendblatt:
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