Die großen Fragen des LebensFrage 55: Wozu brauchen wir Eigentum?Auszug aus dem Interview von Edgar S. Hasse / Hamburger Abendblatt
18. März 2019, von Online-Dienste
Foto: Mark Sandten / Hamburger Abendblatt
Dr. Sighard Neckel (l.) ist Professor für Gesellschaftsanalyse und sozialen Wandel, Dr. Jochen Bung Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie.
Das gehört mir! Schon Kinder lernen in der Vorschule, dass es Eigentum gibt. Wozu gemeinschaftliches und privates Eigentum nützlich ist und warum die moderne Sharing-Ökonomie auch Grenzen hat – darüber debattieren Prof. Dr. Sighard Neckel (Soziologie) und Prof. Dr. Jochen Bung (Strafrecht und Rechtsphilosophie).
Professor Neckel, was ist der wertvollste Gegenstand, den Sie persönlich besitzen?
Sighard Neckel: Möglicherweise ein paar Kunstwerke, die bei uns an der Wand hängen. Der Allgemeinheit sind die Künstler nicht so bekannt, aber für mich sind sie wertvoll.
Sie besitzen diese Werke?
Neckel: Ja, ich habe sie von den Künstlern gekauft, sie sind also mein Eigentum.
Ist das nicht egoistisch von Ihnen? Andere Menschen würden diese Werke vielleicht auch gern betrachten können.
Neckel: Unsere Wohnung ist für Kunstausstellungen wahrscheinlich kein so perfekter Ort. Aber Freunde und Nachbarn sehen die Bilder, wenn sie uns besuchen.
Professor Bung, was ist Ihr wertvollster Gegenstand?
Jochen Bung: Materiell vermutlich ein Haus in der Pfalz, da komme ich her. Immateriell sind es ein paar Bücher, die mir sehr nahe sind, weil ich mit ihnen ständig arbeite.
Welche Eigentumsformen gibt es in Hamburg?
Neckel: Am Beginn der Geschichte des Eigentums steht das Gemeineigentum, was wir in der germanischen Welt als „Allmende“ und später etwa als genossenschaftlich geteiltes Eigentum kennen. Das gibt es bis heute auch in Hamburg. Die Hälfte der Fläche der Freien und Hansestadt gehört ihr selber. Durch Flächenverkäufe geht ihr Anteil freilich zurück. Wir finden Formen öffentlichen Eigentums aber zum Beispiel auch in Gestalt von Verleihsystemen wie den StadtRädern, von denen ich eines mitgebracht habe. Zum anderen haben wir natürlich das private Eigentum. Es steht seit Beginn der bürgerlichen Gesellschaft unter einem besonderen Schutz.
Gibt es regionale Unterschiede?
Neckel: Hamburg ist die Stadt mit den meisten Millionären in Deutschland. Die Eigentumsverteilung ist in Hamburg dadurch gekennzeichnet, dass wir ein besonderes Ausmaß an Eigentumsreichtum in den oberen Schichten haben.
Wie viel Prozent des Privateigentums mögen durch Arbeit entstanden sein?
Bung: Allein durch Arbeit kommt man nicht auf dieses Niveau. Das hat ganz deutlich mit Erbschaft zu tun. Die Vermögensunterschiede sind in Hamburg enorm stark ausgeprägt. Hier empfinde ich es besonders stark, weil die Kontraste bereits in einzelnen Stadtteilen sehr stark aufeinandertreffen.
Trotzdem gibt es sozialen Frieden – oder?
Bung: Gute Frage! Mich wundert, dass in den aktuellen Diskussionen die Herstellung sozialer Gerechtigkeit nicht sonderlich interessiert.
Neckel: Ich teile die Vermutung nicht, dass wir sozialen Frieden hätten. Die Gesellschaft ist heute doch gekennzeichnet durch eine Polarisierung der politischen Lager. Seit 2008 befinden wir uns im Krisenmodus – erst die Finanzkrise, 2011 die Euro-Krise, danach die Flüchtlingskrise. Auch herrscht Unzufriedenheit darüber, dass an den Vermögenszuwächsen der höheren Schichten die Allgemeinheit nur wenig teilhat. Im Artikel 14 Grundgesetz steht: Eigentum soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Damit ist gemeint, dass Wohlstand nicht einseitig verteilt werden sollte, um eine Spaltung der Gesellschaft zu verhindern.
Sollen Millionäre stärker besteuert werden?
Bung: Das könnte man schon, wenn man dafür demokratische Mehrheiten bekommt. Die Steuer ist das wesentliche Instrument beim Politikauftrag der Herstellung einer sozialen Balance. Es geht nicht darum, dass alle dasselbe haben. Dass Vermögen umverteilt werden, ist zentraler Auftrag an die Politik.
Neckel: Die Steuerpolitik in den vergangenen 15 Jahren war der wichtigste Faktor beim deutlichen Anstieg der Vermögen in den oberen Schichten. Insbesondere durch die Abschaffung der Vermögenssteuer, die niedrige Kapitalertragssteuer und die Senkung der Spitzensteuersätze. Zwischen 2005 und 2014 sind die Einkünfte der oberen Schichten – das sind 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung – doppelt so stark gestiegen wie die Einkünfte aller anderen Schichten in Deutschland.
Wozu braucht es Eigentum?
Bung: Es ist notwendig, es gehört unverzichtbar zu einer vernünftigen gesellschaftlichen Infrastruktur. Der Eigentumsbegriff ist in seiner Geschichte sehr weit aufgefasst worden. Bei John Locke wird er im Ausgang von dem Gedanken entwickelt, dass der Mensch sich selbst gehört. An dieser Stelle beginnt mit der Unverfügbarkeit der Eigentumsbegriff. Das bedeutet aber auch: Ich erkenne den anderen als Eigentümer an, als eine Person mit eigenem Leib und eigenen Rechten. Das ist das ursprüngliche Anerkennungsverhältnis. Alles, was moderne Verfassungen ausmacht, lässt sich daraus entwickeln.
Seit wann gibt es Eigentum?
Neckel: Die Eigentumsbildung von Gruppen geht mit der Sesshaftigkeit der Menschen einher. Das Recht auf das persönliche, individuelle Eigentum hängt mit der Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft zusammen. Eigentum wird nun als Grundlage von Freiheit, von rechtlicher Sicherheit und individueller Selbstverwirklichung verstanden. Das war gegen die Vorherrschaft des Adels gerichtet. Man wollte dem Herrschaftsanspruch des Adels entgehen durch bürgerliche Selbstständigkeit.
Wenn alles Gemeinschaftseigentum ist, wie wäre das denn?
Bung: Die Gefahr könnte sein, dass sich kaum einer mehr verantwortlich fühlt. Es könnte eine destruktive Ökonomie der Verschwendung eintreten.
Neckel: Ich sehe andere Gefahren. Große Konzerne haben Zugriff auf kollektive Güter wie Wasser, Meere und Böden. Solche für die Allgemeinheit existenziellen Güter werden nach Renditegesichtspunkten bewirtschaftet, ohne auf ökologische und soziale Folgen Rücksicht zu nehmen. Dann passiert etwa, dass große Ölgesellschaften ganze Flussregionen ruinieren.
Was müsste man tun?
Bung: Man muss auf vernünftiges staatliches Handeln setzen und auf die Bindungswirkung völkerrechtlicher Verträge hoffen. Es braucht Sanktionsmechanismen. Das können neben formellen Sanktionen auch informelle, kollektive Formen der Missbilligung sein. Man muss vor allem auf die Zivilgesellschaft hoffen, die solche Unternehmen boykottieren kann.
Neckel: Beim Eigentum geht es nicht allein um natürliche Ressourcen, wir haben es heute vor allem mit Informationen als wirtschaftlichem Gut zu tun. Informationen aber sind nicht so leicht zu privatisieren wie etwa Industrieanlagen. Durch Informationen kommt heute eine beträchtliche Wertschöpfung auch ohne persönliches Eigentum zustande, wenn wir zum Beispiel an Wikipedia denken.
Funktioniert der Mechanismus, dass privates Eigentum das Wohl einer Gesellschaft mehren kann?
Bung: Der Mechanismus funktioniert nur mit regulierenden Institutionen und sozialstaatlichen Vorkehrungen.
Neckel: Wir bemerken heute, dass diese Vorstellung an ihre Grenzen kommt. Bestimmte Formen privaten Eigentums erfüllen nicht mehr die Zwecke, die man sich von ihnen versprochen hat. Nehmen wir das private Auto. Wir befinden uns in einer Situation, in der die grenzenlose Vermehrung dieses Eigentums zum ewigen Stau führt und Mobilität geradezu verhindert. Von den ökologischen Schäden ganz abgesehen. Wir brauchen also viel mehr Investitionen in öffentliche Verkehrsmittel.
Carsharing?
Neckel: Es ist noch nicht klar, ob Carsharing den Verkehr wirklich reduziert oder einen zusätzlichen Anreiz schafft.
War es richtig, dass die Hansestadt ihre Krankenhäuser an den privaten Betreiber Asklepios verkauft hat?
Bung: Das ist ein Bereich, wo Privatisierung moralisch empörend ist. In diesen Krankenhäusern gibt es inzwischen eine dramatische Personalunterversorgung.
Neckel: Hamburg ist ein Beispiel dafür, wie die Überführung öffentlichen Eigentums in Privateigentum auch wieder rückgängig gemacht werden kann. Der Netzerückkauf bei der Energieversorgung ist das beste Beispiel. Hier wurde die Erfahrung gemacht, dass privates Interesse nicht immer die beste Lösung ist. Dies gilt auch für den Wohnungsmarkt.
Bung: Gescheitert ist auch, um ein weiteres Beispiel anzuführen, die Privatisierung des Strafvollzugs. Der ist sogar unrentabler, nicht, wie behauptet, profitabel geworden. Es ist ein Verfassungsauftrag, dass solche Aufgaben staatlich wahrgenommen werden müssen.
Privatwirtschaftlicher Egoismus kann also ökonomisch schlecht sein?
Neckel: Ein Beispiel hierfür war die geplante Privatisierung der Bahn. Sie wollte sich fit für den Börsengang machen und hat offensichtlich versäumt, in die Infrastruktur zu investieren. Wir alle sind regelmäßig Zeugen vieler Funktionsprobleme im Bahnverkehr. Der Wert solcher Gemeingüter wie der Deutschen Bahn sollte sich nicht allein an der unternehmerischen Rentabilität bemessen.
Das vollständige Interview lesen Sie im Hamburger Abendblatt:
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