
Die großen Fragen des LebensFrage 57: Was ist Schönheit?Auszug aus dem Interview von Yvonne Weiß / Hamburger Abendblatt
1. April 2019, von Online-Dienste

Foto: Roland Magunia / Hamburger Abendblatt
Dr. Martina Kerscher Professorin im Fachbereich Chemie und Fachärztin für Dermatologie/Allergologie. Dr. Uwe Fleckner ist Professor für Kunstgeschichte und Leiter des Warburg-Hauses.
Schon die griechischen Philosophen beschäftigten sich mit der Frage, ob Schönheit etwas mit dem Äußeren oder Inneren zu tun habe. Die Professoren Dr. Martina Kerscher (Chemie) und Dr. Uwe Fleckner (Kunstgeschichte) erklären, welche Vorteile ein hübsches Gesicht mit sich bringt, wieso immer häufiger Chirurgen ins Spiel kommen, und unter welchen Umständen Botox glücklich macht.
Finden Sie selbst sich schön?
Prof. Dr. Martina Kerscher: Dermatologisch betrachtet mag ich meine Hautfarbe, die genetisch bedingt ist, ansonsten bin ich ganz zufrieden mit mir.
Prof. Dr. Uwe Fleckner: Ich weiß nicht, ob ich mich als schönen Menschen bezeichnen würde, ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich die ästhetisch-philosophische Seite der Schönheit vertrete, also durch Sprache und Einfühlungsvermögen vielleicht zu einer schönen Person werden könnte. Doch das mag eine unerreichte Wunschvorstellung sein.
Schon Platon beschäftigt sich damit, wie Schönheit auf die Menschen wirkt. Seiner Ansicht nach ist die Seele eines Menschen dem Schönen zugeneigt, denn sie sorge für Freude und Offenheit. Würden Sie dem zustimmen?
Kerscher: Doch, dem stimme ich zu. Wenn ich an der Alster etwas Schönes sehe, zum Beispiel einen Baum, der wunderbar blüht, dann freut mich das. Das gilt im Grunde für alle Bereiche, ob man ein Bild oder ein Naturszenario betrachtet, das man als schön empfindet, dann kann einen dieser Anblick glücklich machen – und das fernab aller wissenschaftlichen Theorien.
Fleckner: Es gibt Grenzphänomene, wo das umschlagen kann. Eine schöne Blume wird man nie als bedrohlich empfinden, doch bereits der Anblick des Meeres oder Landschaftsszenerien, die in Erhabenheit umschlagen, machen mich demütig. Dieses Gefühl kann sich zum Schrecken wandeln, denn man betrachtet etwas, das einen überwältigt. Es gibt also harmlose Schönheit und eine, die uns herausfordert.
Was als Schönheit empfunden wird, das hängt von der Zeit und auch vom Kulturkreis ab. Welchem Wandel unterlag der Begriff im Laufe der Jahrhunderte?
Fleckner: Der antike, moralische Begriff von Schönheit hat sich sehr stark gewandelt. Platon ging es um das Wahre und Gute, um das schöne Innere, welches nicht übereinstimmen musste mit einem schönen Äußeren. Schönheit hatte lange mit Proportionen zu tun: Seit der Antike ging es um den Goldenen Schnitt, also um das harmonische Teilungsverhältnis einer Strecke; das Verhältnis von Oberkörper zu Unterkörper beispielsweise. Eine Balance zwischen allzu ruhiger Symmetrie und exzentrischer Spannung sollte gefunden werden. Das Verhältnis des Goldenen Schnittes findet sich häufig in der Natur, bei der Anordnung von Blättern, in Kiefernzapfen oder Fruchtständen, das hat der Mensch der Natur abgesehen. Die Natur hat also eine ästhetische Wirkung auf ihn gehabt, seine Auffassung davon, was als schön empfunden wird, geprägt.
Kerscher: Erstaunlicherweise gibt es erste Studien zur Attraktivitätsforschung, die zeigen, dass junge Menschen, die wenig Zeit in der Natur verbringen und das Auge so nicht an Proportionen des Goldenen Schnittes gewöhnen, Schönheit nun anders definieren. Naturfremde Menschen sollen dem Goldenen Schnitt in der Bewertung von Schönheit nicht mehr folgen. So ist etwa bei vielen Zeichentrickfilmen der Goldene Schnitt durch die riesigen Augen der Figuren beispielsweise nicht mehr realisiert.
Fleckner: Meine Hypothese: Der Blick in die Natur wird heute durch den Blick in die Medien abgelöst, wir lernen Natur nur noch über ihr mediales Bild kennen, was wiederum unser ästhetisches Empfinden beeinflusst. Wir können damit rechnen, dass die jahrhundertealten Regeln, was als schön angesehen wird, immer mehr außer Kraft gesetzt wird. Das Ideal wird sich schließlich ändern – und dann kommen die Chirurgen ins Spiel.
Kerscher: Diesen Trend nimmt man in Asien bereits wahr. Dort wird in der ästhetischen Medizin durchaus versucht, das asiatische Gesicht dem kaukasischen Typus, also unserem westlichen Typ, ähnlich zu machen. Mit minimal-invasiven Verfahren wünschen sich viele Asiatinnen ein prominenteres Kinn, hohe Wangenknochen oder eine hohe Stirn. Die Berührungsängste mit ästhetischen Eingriffen sind in Ländern wie Korea viel geringer als bei uns, auch 20-Jährige unterziehen sich minimal invasiven oder auch operativen Eingriffen. So fällt es uns beispielsweise schwer, die Nominierten zu Miss Süd-Korea der vergangenen Jahre auseinanderzuhalten.
Bei einer solchen Miss-Wahl wird dann ja eigentlich eher der Chirurg gekürt.
Fleckner: Genau. Solche Wettbewerbe machen keinen Sinn mehr, man sieht jedoch daran, wie stark das Bedürfnis ist, sich der westlichen Welt anzupassen, auszusehen wie wir, bis hin zu körperlichen Modifikationen. In der Kunst sieht es anders aus: Dort steht Schönheit immer unter dem Verdacht des Belanglosen. Zeitgenössische Künstler sind eher irritiert, wenn man ihre Werke als schön bezeichnet, weil sie dies als oberflächlich erachten. Sie stellen oft das bewusst Hässliche in den Vordergrund oder bauen Störungen ein.
Nofretete bewerten viele als schön, und auch Mona Lisa wird immer wieder als Beispiel für pure Schönheit genannt. Warum?
Fleckner: Ach, die Mona Lisa ist ein außergewöhnlicher Fall, Sie werden es sicher als blasphemisch erachten, was ich nun sage, doch die Mona Lisa ist eigentlich kein so besonderes Kunstwerk. Zu der Zeit seiner Entstehung gab es viele ähnliche, eigentlich schönere Porträts. Seit dem Diebstahl aus dem Louvre Anfang des 20. Jahrhunderts hat sich mit Verschwörungstheorien ein Mythos aufgebaut über diese wohlproportionierte, jahrhundertelang unbekannte Frau vor einer komplexen, widersprüchlichen Landschaft. Ich habe den Verdacht, dass diese Rätselhaftigkeit diese Frau so schön erscheinen ließ.
Ist das Gesicht eines Menschen heute mehr denn je sein Aushängeschild?
Kerscher: Im Beruf, ja, sogar bereits in der Schule und auch vor Gericht kann Attraktivität wissenschaftlichen Studien zufolge Vorteile verschaffen. Wir wissen auch, dass junge Menschen mit Akne deutlich schlechtere Chancen auf dem Bewerbungsmarkt haben. Es gibt ein Zusammenspiel von Schönheit und Erfolg, das durch zahlreiche Studien belegt ist.
Fleckner: In der Kunst wurden bei Porträts immer auch Charaktereigenschaften dargestellt. Napoleons Körper und seine Attribute beispielsweise waren oft so gestaltet, dass er sich dem Gott Zeus annäherte, er wollte eine Darstellung von absoluter Macht. Andere Herrscher arbeiteten mit Herkules-Verweisen, um dessen Stärke auf die Stärke der Staatsführung zu übertragen. Das heißt, es wurde immer schon manipuliert.
Ist die Wahrheit in der Malerei, verglichen mit unseren modernen, technischen Verschönerungsmethoden, nicht ähnlich unzuverlässig, hat sich also gar nicht so viel verändert? Getrickst wurde schon immer.
Fleckner: Selbstverständlich. Es musste manipuliert werden, denn als Künstler wollte und musste man immer eigene Erfindung hinzugeben. Wenn der Porträtist im Grunde wie ein Passfotoautomat malen würde, wo wäre dann seine Kunst?
Fällt es uns heute wesentlich leichter, auf Fotos schön zu wirken als früher, als es noch keine Filter und Bildbearbeitungsprogramme gab?
Kerscher: Entscheidend ist das wirkliche Leben. In der Realität gibt es keinen Filter, der über ein Gesicht gelegt werden kann, lediglich dekorative Kosmetik. Andererseits findet sich auf Dating-Plattformen kaum ein unbearbeitetes Foto, aber der reale Moment des Kennenlernens tritt ein, und dann sollte die Diskrepanz nicht zu groß sein, um Enttäuschungen zu vermeiden. Anziehungskraft wird durch den ersten Eindruck maßgeblich beeinflusst. Zudem gibt es Studien, die zeigen, dass einem attraktiveren Äußeren auch positivere Charaktereigenschaften zugewiesen werden. Fleiß, Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit werden spontan attraktiveren Gesichtern zugeordnet. Klassische Tugenden, die an den ursprünglichen Schönheitsbegriff der Philosophen erinnern.
Das Gegenteil von schön ist hässlich. Gelten Zeichen der Alterung, also zum Beispiel Falten, als hässlich?
Kerscher: Nein, nicht grundsätzlich, auch Menschen mit Falten werden häufig als attraktiv empfunden. Neben den Proportionen spielen auch die Hautfarbe, der sogenannte Skin Glow, und die Ebenmäßigkeit der Haut eine Rolle.
Die vornehme Blässe, die der Adel damals zur Schau stellte, gilt die auch heute wieder als schön?
Kerscher: Wir gehen wieder dahin! Im Mittelalter galt es als Strafe, ins Freie gesetzt zu werden, um zu bräunen, denn damit wurde eine klare Abgrenzung zwischen der gehobenen Schicht, die sich durch vornehme Blässe auszeichnete, und den im Freien arbeitenden, gebräunten Bauern gezogen. Auch heute wird ein ebenmäßiges, nur leicht pigmentiertes Gesicht als schön empfunden. Betrachtet man Cover von Modezeitschriften, so fällt auf, dass bei kaukasischen Models von den 70ern bis jetzt die Gesichtsfarbe immer heller wurde. Das ist auch aus dermatologischer Sicht sinnvoll, denn UV-Licht ruft nicht nur Falten hervor, es erhöht auch das Hautkrebsrisiko.
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