Die großen Fragen des LebensFrage 65: Wird es jemals eine Weltregierung geben?Auszug aus dem Interview im Hamburger Abendblatt
27. Mai 2019, von Online-Dienste
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Ordnung und Orientierung: Prof. Antje Wiener (Politikwissenschaften/Global Governance) und Prof. Markus Kotzur (Europa- und Völkerrecht) favorisieren ein Weltbürgertum.
Eine einzige Regierung auf der Welt, die alles zentral lenkt: Diese Idee übt seit der Aufklärungszeit eine Faszination aus. Die Professoren Antje Wiener (Politikwissenschaften/Global Governance) und Markus Kotzur (Europa- und Völkerrecht) favorisieren dagegen ein Weltbürgertum. Wie selbst Ballermann-Urlauber zu Weltbürgern werden können, lesen Sie in diesem Interview.
Wer regiert die Welt? Ist es das Geld, sind es die großen Konzerne?
Prof. Antje Wiener: Ich würde von verschiedenen Ordnungen sprechen. Es sind fünf: Da ist die politische Ordnung, sie wird durch die Rechtsordnung gestützt, denn ohne Recht kann die Politik keine Sanktionen ausüben. Dann gibt es die Wirtschaftsordnung. Die ist schwer zu bändigen. Dann gibt es die sozial-kulturelle Ordnung, die ist sehr untererforscht. Und wir haben die epistemische Ordnung, die durch das Wissen gestaltet wird. Dieses Zusammenwirken wäre eine Grundlage für Formen des Regierens in der Welt.
Und was meinen Sie?
Prof. Markus Kotzur: Auch die Juristen würden mit der Idee der Ordnungen arbeiten. Und die Ordnungen werden durch Akteure gesteuert und beherrscht. Die Staaten sind in der internationalen Ordnung noch immer die wichtigsten Akteure. Sie haben sich in den Vereinten Nationen zusammengeschlossen, der berühmtesten internationalen Organisation. Daneben spielen auch Nicht-Regierungsorganisationen und die von Ihnen angesprochenen transnationalen Konzerne eine maßgebliche Rolle. Dazu kommen Kirchen, Lobbygruppen, Gewerkschaften – so vielfältig die Ordnungen sind, so vielfältig sind die Akteure, die die Welt mitregieren. Und deshalb gibt es nicht die eine, zentrale Instanz.
Es sind Menschen, die Macht ausüben. Wer sind diese Menschen?
Wiener: Typischerweise gehen wir an der Universität davon aus, wenn wir versuchen zu erklären, wie Weltregieren funktioniert, dass es aus historischer Perspektive zunächst Beziehungen zwischen Diplomaten gab – meistens männlicher Prägung – sowie Vertretern von Staaten und Regierungen. Im Vergleich zum vergangenen Jahrhundert wird uns gegenwärtig dramatischer bewusst, dass die Vielfalt derer, die regieren wollen und derer, die regieren können, sich häufig nicht überlappt. Dadurch entstehen viele Konflikte.
Sind es die Reichen, die regieren?
Kotzur: Das ist viel zu pauschal gedacht. Natürlich sind die, die finanzielle Mittel haben, auch wirkungsmächtig. Aber es gibt auch viele andere Akteure, die wirkungsmächtig sind – im Extremfall sogar Terroristen. Zudem spielt Meinungs- und Wissensmacht eine große Rolle, zum Beispiel im Internet mit Fake News.
Bedarf es einer einheitlichen Steuerung, damit es kein Chaos gibt?
Wiener: Wir beobachten in den letzten Jahrzehnten eine Betonung von Menschenrechten und Souveränität, von fundamentalen Normen, wie sie in der UN-Charta stehen. Die Schutzverantwortlichkeit ist beispielsweise ein guter Begriff, wo Staaten wissen: Wir müssen ab einem bestimmten Zeitpunkt eingreifen, jedoch die Details entlang bestimmter Kriterien ausdiskutieren. Staaten sind sich ihrer Verantwortlichkeit bewusst, bestimmte Konflikte zu bändigen. Die Handlungsmöglichkeiten unterscheiden sich jedoch kontextbedingt.
Kotzur: Aus völkerrechtlicher Sicht ist die Kooperation ein wichtiges Element. Man braucht Durchsetzung für globale Fragen, aber das kann einer zentralen Weltregierung von oben nach unten nicht gelingen. Da würden die unterschiedlichen Interessen der Staaten und Regionen nicht berücksichtigt. Sehr wohl ist es aber möglich, dass man Kooperation organisiert auf der Basis multilateraler Vertragsregime. Das Pariser Klimaabkommen, Abkommen über Luftverkehr, Flugsicherheit, Welthandel, Sicherheitspolitik sind Beispiele dafür. Es wäre im Übrigen naiv zu glauben, dass es eine Art „Weltregierung“ geben könnte, die gegen den Willen der Nationalstaaten etwas durchsetzt.
Wissenschaftler wie Einstein und Habermas haben den Gedanken der Weltregierung favorisiert. Warum könnte ein solcher Gedanke so charmant sein?
Wiener: Der Gedanke ist insofern charmant, als es immer möglich ist, durch theoretische Konstrukte legitime Bezüge herzustellen. Er wird nicht als Utopie vermittelt. Wenn wir beginnen, den Blick über die Grenzen des europäischen Systems hinaus zu richten, dann finden sich – zum Beispiel bei indigenen Völkern – durchaus Grundlagen für eine wie auch immer zu gestaltende Ordnung der Welt auf der Grundlage allgemein akzeptierter Normen.
Könnten auch die indigenen Völker eigene Parteien gründen?
Wiener: Auf der globalen Ebene von Parteien zu sprechen, halte ich für sehr gewagt. Selbst in der EU ist es noch nicht gelungen, transeuropäische Parteikonstellationen zu etablieren, bis auf eine oder zwei, die es jetzt bei der EU-Wahl versuchen.
Wie ist der Begriff der Weltregierung entstanden?
Kotzur: Sie haben die Aufklärung angesprochen und denken an Immanuel Kant. Er hat nicht von einer Weltregierung, sondern von einer Weltrepublik gesprochen. Dabei handelt es sich um einen bundesstaatsähnlichen Zusammenschluss. Das ist eine Idee, die bis heute trägt – mit der Einsicht in die Notwendigkeit, auf Staatenebene zu kooperieren. Das kann aber nur funktionieren, wenn man die Kooperation institutionalisiert. Und wenn man, wie Frau Wiener sagt, diese westlichen Ideen in einen globalen Diskurs mit einbezieht – mit indigenen Völkern genauso wie mit ehemaligen Kolonien. Bei der Ausgestaltung der Kooperation sollten auch diese Akteure ihre jeweiligen Bedürfnisse artikulieren. Regelungen im Umweltschutz sollten zum Beispiel unterschiedliche Entwicklungsgrade der Länder berücksichtigen.
Das vollständige Interview lesen Sie im Hamburger Abendblatt:
zum Interview: Wird es jemals eine Weltregierung geben?
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