
Die großen Fragen des LebensFrage 66: Welche Rechte haben Kinder?Auszug aus dem Interview im Hamburger Abendblatt
3. Juni 2019, von Online-Dienste

Foto: Mark Sandten / HA
„Kinderrechte sind Menschenrechte“, heißt es auf dem Plakat, das Prof. Dr. Benedikt Sturzenhecker zum Interview mitgebracht hat. Prof.Dr. Zoe Clark zeigt einen kleinen Globus. Seit 30 Jahren gilt (nahezu) weltweit die UN-Kinderrechtskonvention.
Weltweit fordern Kinder gerade ihr Recht ein – das Recht auf Zukunft. Die „Fridays for Future“-Bewegung soll allein an einem Tag (am 15. März) 1.789.235 junge Menschen auf die Straßen gebracht haben. Die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen wird im November 30 Jahre alt. Darin sind die Rechte der Kinder geregelt – nur welche sind das? Und welche Rollen spielen sie im Handeln von Behörden und Familien? Darüber sprach das Abendblatt mit Prof. Dr. Zoe Clark und Prof. Dr. Benedikt Sturzenhecker.
Kinderrechte – was ist das überhaupt?
Prof. Zoe Clark: Kinderrechte sind eine spezifische Form der Menschenrechte. Es handelt sich nicht wie bei Erwachsenen ausschließlich um ein Bürger-Staat-Verhältnis. Sie sind vielmehr auch eine Art Vertrag zwischen Erwachsenen und Kindern; eine Form von moralischem Regularium, wenn es um die Ansprüche von Kindern an Erwachsene, wie ihre Eltern, geht. Die Kinderrechte sind eingeteilt in drei Prinzipien: Soziale Teilhabe, Zugang zu Bildung und Abwehr von Missbrauch.
Es geht also um Kindeswohl und Kindeswille. Was hat Priorität?
Prof. Dr. Benedikt Sturzenhecker: Beides gehört zusammen. In diesem Jahr feiern wir 70 Jahre Grundgesetz. In Artikel 1 heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Der Artikel ist zentral fokussiert auf die Selbstbestimmung und gibt für die Würde des Kindes im Alltag eine total wichtige Marschrichtung vor – auch für die sozialpädagogischen Organisationen, also für Kitas, Jugendarbeit oder Heimerziehung. Es gilt immer wieder neu herauszufinden, was es für die Entfaltung und die Selbstbestimmung des Kindes braucht. Nur leider misslingt das pädagogisch oft, glaube ich.
Clark: Kindeswille ist integraler Bestandteil von Kindeswohl. In Artikel 3 der Konvention ist festgeschrieben, dass alle öffentlichen und privaten Entscheidungen primär das Interesse von Kindern zu berücksichtigen haben.
Aber wissen denn Jungen, Mädchen und ihre Eltern genug über Kinderrechte?
Clark: Kinder wurden in Untersuchungen befragt. Bei den Acht- bis Zwölfjährigen gaben von 1000 Kindern 43 Prozent an, von ihren Rechten zu wissen. Gerade einmal 13 Prozent wussten, dass es die UN-Kinderrechtskonvention gibt und dass dort maßgebliche Kinderrechte festgeschrieben sind. Und das ist ja nur die Selbsteinschätzung. Man hat sie nicht gefragt, welche Rechte sie glauben zu haben. Deutschland war übrigens bei den 15 Ländern, die mitgemacht haben, das Schlusslicht bei Kenntnissen der UN-Kinderrechtskonvention.
Sturzenhecker: Wir haben mit der Awo ein Projekt gemacht, in dem wir, wenn man so will, die Kinderrechte neu erfunden haben. Wir haben den Kindern nämlich nicht gesagt, „ihr habt welche, und hier ist die Liste“, sondern wir haben sie fragt: „Welche Rechte müsstet ihr haben?“ Die Kinder können das sehr wohl artikulieren. Mitgemacht haben Kinder aus Kitas, der Heimerziehung und aus der Jugendarbeit. Sie haben das erst in ihren Einrichtungen besprochen, dann haben sich 120 Kinder getroffen, mit denen haben wir einen Tag daran gearbeitet. Wir haben deren Formulierungen mit bestehenden Rechten wie der Kinderrechtskonvention oder dem Grundgesetz abgeglichen. Dadurch, dass Fachkräfte und Kinder das gemeinsam gemacht haben, hat sich das Bewusstsein verändert. Nach dem Motto „Wir haben das gemeinsam besprochen, ich Kind kann von dir Fachkraft dieses Recht einfordern“.
Und das wird heute so in den Kindertagesstätten der Awo angewendet?
Sturzenhecker: Ja, das ist der zweite Schritt. Allein, dass man über Rechte verfügt, heißt nichts, wenn es keine Verfahren der Umsetzung gibt. Das Kinder- und Jugendhilfegesetz verlangt für Kitas und Heimerziehung Beschwerdeverfahren und Beteiligungsverfahren. Wir haben Partizipationsverfahren entwickelt, wie man gemeinsam die Angelegenheiten regeln kann, die einen im Alltag der Kita betreffen. Das ist selbst mit Dreijährigen überhaupt kein Problem.
Clark: Oft ist es in den Einrichtungen so, dass die Kinder über banale Fragen mit- entscheiden dürfen. „Machen wir die Ferienfreizeit an Ort A oder B?“ Aber dürfen die Kinder und Jugendlichen wirklich über fundamentale Regeln des alltäglichen Zusammenlebens entscheiden? Also: Bestimmen sie tatsächlich darüber, was die Einrichtung ausmacht? Oder bleibt es bei einer Alibi-Beteiligung?
Neben Eltern und Kindern müssten auch Behörden und Politik die Kinderrechte genau kennen, um sie in ihr Tun einfließen zu lassen. Ist das der Fall?
Sturzenhecker: Zu selten, glaube ich. Die Fachkräfte in den Organisationen der Kinder- und Jugendhilfe müssten den Kindern ermöglichen, die Rechte zu kennen. Sie müssten dafür sorgen, dass diese im Alltag umgesetzt werden. Sie müssten ihnen ermöglichen, sich einzumischen, wenn es um ihre Alltagskonflikte und Probleme geht.
Aber wie sollte das denn funktionieren?
Sturzenhecker: Das Bezirksverwaltungsgesetz schreibt eigentlich vor, dass das Bezirksamt Kinder und Jugendliche bei Planungen in angemessener Weise beteiligt, die sie betreffen. Aber sie werden nur beteiligt an kindlich-jugendlich sehr konkreten Fragen, die das Hier und Heute betreffen. Also: wie wir den Spielplatz gestalten, beispielsweise. Wir sehen jetzt mit den Klimaprotesten und „Fridays for Future“, dass Kinder und Jugendliche sehr wohl aber Zukunftsfragen erkennen und kompetent dazu Stellung nehmen können. Wir haben viel zu wenig Beteiligungsfragen und -verfahren für die großen und grundsätzlichen Planungen in den Bezirken. Das würde auch nicht immer funktionieren. Aber anstatt sie auf die kindlichen Sandkästen zu reduzieren, müsste man wenigstens mal anfangen mit einer stärkeren Partizipation an großen Zukunftsentscheidungen.
Wie das in der Praxis funktionieren könnte, erscheint ziemlich rätselhaft.
Clark: Kinder und Jugendliche aus den unterschiedlichsten Stadtteilen kommen im Rathaus zusammen. Vorher werden die Themen lokal vorbereitet. Zum Beispiel wäre es wichtig, Kinder und Jugendliche zum Zukunftsthema Mobilität zu befragen. Sie sind im Verkehr in einem ganz anderen Ausmaß gefährdet als Erwachsene. Es wäre wichtig, von Kindern zu hören, was sie stört. Uns Erwachsenen fehlt oft deren Sichtweise.
Sturzenhecker: Ich würde immer in den pädagogischen Einrichtungen der Bezirke starten. Zum Beispiel in der Kita. Aus mehreren Kitas ließe sich eine Arbeitsgruppe bilden, die sich die Probleme vor Ort anschaut. Die Kinder könnten die betroffenen Straßen oder Ecken ablaufen, Fotos machen, malen, was sie stört. Daraus könnte eine Art Jury einen Vorschlag entwickeln, die Kinder könnten dann selbst als Gleichaltrigen-Botschafter in andere Kitas gehen und die Ideen besprechen. Man könnte Mini-Videointerviews machen mit Kindern und daraus Eingaben erarbeiten. Es geht nicht darum, den Kinderwillen einfach zu befolgen. Aber die Kinder könnten erleben, dass sie ihre Stimme erheben können.
Clark: Am Ende darf es aber nicht nur darum gehen, dass Kinder gehört werden, sondern dass ihr Wille in Entscheidungen einfließt. Wichtig ist auch die Frage: Welche Kinder werden beteiligt?
Sturzenhecker: Wenn wir das freistellen, werden sich eher Mittelschichtskinder melden, die gelernt haben, sich einzubringen. Das allein reicht aber nicht. Wir brauchen repräsentative Jurys. Die müssen schauen, aus welchen Schichten es im Stadtteil Kinder und Jugendliche gibt und was sie brauchen. Das wäre eine gerechtere Variante der Partizipation.
Das vollständige Interview lesen Sie im Hamburger Abendblatt:
zum Interview: Welche Rechte haben Kinder?
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