Die großen Fragen des LebensFrage 69: Wie bewegen wir uns in der Zukunft fort?Auszug aus dem Interview im Hamburger Abendblatt
24. Juni 2019, von Online-Dienste
Foto: Mark Sandten / Hamburger Abendblatt
Statt auf Pkw mit Verbrennungsmotoren sollten wir möglichst auf umweltschonende Treibstoffe wie Wasserstoff setzen, sagen Timo Reis (l.) und Michael Fröba.
Staus und schlechte Luft bereiten in vielen Großstädten erhebliche Probleme – auch in Hamburg. Was muss passieren, damit es weniger Verkehr, weniger Abgase und mehr Lebensqualität gibt? Welche technologischen und organisatorischen Herausforderungen für eine Verkehrswende zu bewältigen sind, erläutern der Energieforscher Prof. Dr. Michael Fröba und der Mathematiker Prof. Dr. Timo Reis von der Universität Hamburg.
Fast 800.000 Pkw waren Anfang 2019 in Hamburg angemeldet – rund 11.000 mehr als ein Jahr zuvor. Warum setzen immer noch so viele Menschen auf das Auto?
Michael Fröba: Wer in der Hamburger Innenstadt wohnt, braucht nicht unbedingt ein Auto. Menschen, die oft aus der Stadt hinausfahren, die pendeln oder etwas transportieren wollen, sind allerdings schon eher auf Pkw angewiesen – anders kann ich mir diese hohen Zahlen nicht erklären. Zumindest an vielen Stellen in der Innenstadt lassen sich auch Busse, U- und S-Bahnen nutzen.
Trotzdem steigen auch dort längst nicht alle Hamburger vom Pkw auf den ÖPNV um.
Timo Reis: Was Pkw angeht, ist hierzulande viel Irrationalität mit im Spiel. Das Auto ist ein Gegenstand, der sich über Jahrzehnte so stark etabliert hat, dass viele Menschen allein aus Gewohnheit nicht darauf verzichten wollen.
Als umweltschonende Alternative zu Pkw mit Verbrennungsmotor gelten Elektroautos. Im April waren in Hamburg aber gerade einmal 2531 Pkw mit reinem Elektroantrieb angemeldet, dazu 9350 Pkw mit Hybridantrieb. Von einer technologischen Verkehrswende kann nicht die Rede sein.
Reis: Viele Kunden schreckt die geringe Reichweite ab. Mit den meisten Modellen schaffte man zuletzt nur etwa ein Viertel der Strecke, die herkömmliche Pkw schaffen. Erschwerend kommt hinzu: Das Aufladen der Batterien dauert erheblich länger als das Auftanken mit Benzin oder Diesel bei herkömmlichen Autos.
Wird die Reichweite von E-Autos denn bald zunehmen?
Fröba: Viele E-Autos, die jetzt auf den Markt kommen, haben immerhin schon Reichweiten von 250 bis 300 Kilometer – deutlich mehr als ältere Modelle, die 100 bis 150 Kilometer schaffen. Allerdings gilt immer noch die Faustregel: 100 Kilogramm Batterie reichen für etwa 100 Kilometer. Je größer die Reichweite ist, desto mehr Gewicht schleppt ein Auto also mit. Es wird deshalb künftig auch darauf ankommen, ob E-Autos leichter zu bauen sind, um das Gewicht der Batterien zu kompensieren und eine große Reichweite zu ermöglichen. Davon alleine wird es aber nicht abhängen, ob E-Autos der Durchbruch gelingt.
Worauf wird es noch ankommen?
Fröba: Zum Beispiel darauf, ob sich Menschen künftig genauer überlegen, wofür sie Autos wirklich nutzen wollen. Wer in der Hamburger Innenstadt wohnt und größtenteils mit dem Pkw nur innerhalb der Hansestadt fahren will, kommt mit der Reichweite eines E-Autos vollkommen aus. Für den zweiwöchigen Urlaub in Bayern könnte man dann besser mit der Bahn fahren und eventuell vor Ort ein Auto mit Verbrennungsmotor mieten, statt eines zu kaufen. Damit vermeidet man Abgase und schont die Umwelt.
Reis: Ich bin ja ein großer Fan von Elektroautos – schon allein deshalb, weil sie im niedrigen Drehzahlbereich eine wahnsinnige Beschleunigung haben. Es macht einfach Spaß, ein Elektroauto zu fahren. Elektroautos werden meiner Ansicht nach nicht gut beworben, es geht zu oft nur um den Umweltaspekt.
Kritiker sagen, E-Autos seien längst nicht so umweltschonend wie behauptet. Für die Herstellung der Batterien werde sehr viel Energie benötigt und damit das Treibhausgas CO2 erzeugt. Einige wichtige Rohstoffe für die Batterien, insbesondere Cobalt und Lithium, würden unter ausbeuterischen Bedingungen und zudem ineffizient in Afrika, Südamerika und Asien gefördert.
Fröba: Die Batteriehersteller versuchen bereits, den Einsatz etwa von Cobalt zu minimieren und Lithium effizienter abzubauen. Gleichwohl gibt es noch viel zu tun für eine umweltschonendere Produktion der Batterien unter besseren sozialen Bedingungen. Hinzu kommen weitere Herausforderungen. Der Anteil von Strom aus erneuerbaren Energien in der Europäischen Union beträgt erst etwa 30 Prozent. Solange E-Autos auch mit Strom etwa aus Kohle und Atomkraft betrieben werden, sind sie zumindest keine durchweg saubere Alternative zu Pkw mit Verbrennungsmotoren. Noch in den Kinderschuhen steckt das Recycling von Batterien aus E-Autos, auch das gilt es zu verbessern. E-Autos müssen zudem preisgünstiger werden, wenn sie sich besser verkaufen sollen. Als Alternative zu Verbrennern nur auf batteriebetriebene E-Autos zu setzen hielte ich ohnehin für falsch: Autos, die Wasserstoff nutzen, um in einer Brennstoffzelle zusammen mit Luft Strom zu erzeugen und so einen Elektromotor antreiben, haben mehr Reichweite, lassen sich ebenso schnell auftanken wie herkömmliche Pkw ...
… und ihre Abgase bestehen nur aus Wasserdampf. Klingt prima – warum haben sich diese Autos noch nicht durchgesetzt?
Fröba: Es gibt ein Preisproblem. Wasserstoff liegt auf der Erde nicht frei vor, sondern nur gebunden, etwa in Wasser. Diesen Treibstoff freizusetzen ist teuer. Bisher wird Wasserstoff überwiegend aus Erdgas hergestellt. Dabei entsteht Kohlendioxid. Nur wenn Wasserstoff aus Wasser mithilfe von Strom aus Wind- oder Solarenergie erzeugt wird, ist die Klimabilanz deutlich besser. Dieses Verfahren, die Elektrolyse, muss aber noch weiter verbessert werden, um auch die nötigen Mengen an Wasserstoff zu erzeugen, die für einen Einsatz von Wasserstoff-Autos im großen Stil nötig wären. Aufwendig und teuer ist bisher auch die Speicherung von Wasserstoff als Brennstoff – auch das muss noch weiter besser werden.
VW testet derzeit in der Hamburger Innenstadt autonomes Fahren. Was bringt es, wenn Autos voll automatisiert fahren können, in einem begrenzten Areal mit Fahrern, die zur Not eingreifen können wie bei dem VW-Projekt, oder sogar ohne Fahrer voll automatisiert auf allen Routen?
Reis: Wenn wir nicht mehr selbst am Steuer sitzen müssten, würde das den Stress, der durch die Konzentration im Straßenverkehr entstehen kann, reduzieren; wir würden fitter zur Arbeit kommen. Zweitens könnte autonomes Fahren die Sicherheit erhöhen. Menschen machen Fehler. Das gilt zwar auch für Maschinen, doch die Fehlerquote kann sehr viel geringer sein.
Von den Crashs, in die von Google getestete autonome Autos verwickelt waren, haben Sie gehört?
Reis: Natürlich. Das waren zweifellos tragische Fälle, da gibt es nichts zu beschönigen. Dennoch können Unfälle mit autonomen Fahrzeugen die Ausnahme bleiben, wenn die Technologien erst einmal ausgereift sind.
Was macht Sie da so sicher?
Reis: Eine Maschine hat eine erhebliche kürzere Reaktionszeit als der Mensch, und sie kann rational entscheiden. Wir sind unter Stress und in der Kürze der Zeit schnell überfordert. Nehmen wir an, es liegt eine Kiste auf der Fahrbahn, die ein Lastwagen verloren hat. Viele Autofahrer würden wohl versuchen, diesem Gegenstand auszuweichen, ohne darauf achten zu können, dass womöglich links neben ihnen ein anderes Auto fährt, mit dem sie dann bei dem Manöver kollidieren würden. Der Computer des Autos hingegen würde analysieren, wer oder was sich vor, neben und hinter dem Auto befindet, wie schnell das Auto fährt und welches die beste Strategie unter Abwägung aller Aspekte wäre. Womöglich ließe der Computer das Auto dann über die Kiste fahren. Das würde vielleicht eine Felge ruinieren, aber einen lebensgefährlichen Unfall verhindern.
Fröba: Es ist unbestritten, dass eine Maschine schneller reagieren kann als der Mensch. Wie aber lassen sich Fälle wie zuletzt bei einigen Boeing-Flugzeugen verhindern, als die Software die Kontrolle übernahm und Abstürze verursachte, während die Piloten sich vergeblich bemühten, die Kontrolle zurückzugewinnen?
Reis: Man wird Mechanismen einführen müssen, die eine Übernahme durch den menschlichen Fahrer immer erlauben. Grundsätzlich werden autonome Fahrzeuge noch viele Tests und Prüfungen bestehen müssen, bevor sie in den Verkehr gelassen werden.
Kann autonomes Fahren auch die Umwelt schonen?
Reis: Es kommt darauf an. Praktiziert wird bereits mit normalen Pkw das Carsharing, bei dem sich mehrere Menschen ein Auto teilen. Das verursacht weniger Abgase, als wenn diese Menschen jeweils ein eigenes Auto nutzten. Carsharing von kommerziellen Anbietern setzt aber bisher hauptsächlich auf einige zentrale An- und Abgabestationen in der Stadt. Wenn es künftig so liefe, dass auch privat genutzte autonome Fahrzeuge in das Carsharing-System eingebunden werden, würde dies zu einer Dezentralisierung des Carsharings beitragen.
Fröba: Wer in autonomen Fahrzeuge unterwegs ist, muss die Füße vom Gas lassen. Das könnte zu einem gleichmäßigeren Verkehrsfluss führen, was ebenfalls für weniger Abgase sorgen und somit die Umwelt schonen würde.
Das vollständige Interview lesen Sie im Hamburger Abendblatt:
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