
Die großen Fragen des LebensFrage 76: Was macht eine gute Schule aus?Auszug aus dem Interview im Hamburger Abendblatt
12. August 2019, von Online-Dienste

Foto: Michael Rauhe / Funke Foto Services
Prof. Jan Marcus hofft, dass den Schülern ein Licht aufgeht. Prof. Julia Gerick hat die Zukunft der Schüler im Blick und möchte ihren Horizont weiten.
Das neue Schuljahr hat begonnen: Gut 170.000 Hamburger Schülerinnen und Schüler drücken seit Donnerstag wieder die Schulbank; für rund 15.400 Erstklässler und 14.300 Fünftklässler beginnt der neue Lebensabschnitt in den kommenden Tagen. Ein guter Anlass, um mit zwei Experten, der Erziehungswissenschaftlerin Prof. Julia Gerick und dem Volkswirt Prof. Jan Marcus, darüber zu sprechen, was eigentlich gute Schule ausmacht – also eine Schule, die das Potenzial ihrer Schüler am besten zur Entfaltung bringt. Wie wichtig sind die Strukturen, welche Rolle spielt der Lehrer? Und hat die Klassengröße Einfluss darauf, ob Unterricht erfolgreich ist?
Wie gut sind die Schulen fast 20 Jahre nach dem Pisa-Schock?
Prof. Julia Gerick: Das kommt darauf an, was man unter guter Schule versteht. Im internationalen Vergleich werden oft Lesekompetenz, mathematische und naturwissenschaftliche Kompetenzen der Schüler betrachtet – und da hat sich in der Zwischenzeit schon einiges verbessert. Aber es bleibt noch viel zu tun, gerade bei der Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft.
Was macht denn gute Schule aus?
Prof. Jan Marcus: Eine gute Schule ermöglicht den Schülern eine umfassende Teilhabe im späteren Leben. Das bedeutet, dass sie essenzielle Fähigkeiten wie Lesen, Schreiben und Rechnen erwerben und ein gutes Verständnis für Natur und Technik entwickeln, aber auch für die Gesellschaft. Zusätzlich soll Schule die Schüler dabei unterstützen, dass sie zu selbstständig denkenden Persönlichkeiten heranwachsen. Schließlich soll sie möglichst soziale Ungleichheiten abmildern – die Herausforderungen sind also vielfältig.
Was ist entscheidend für gute Schule? Die Struktur? Der Unterricht? Der Lehrer?
Gerick: Das ist ein Zusammenspiel. Aus der Schulqualitätsforschung wissen wir, dass insbesondere die Schulen erfolgreich sind, die eine klare pädagogische Konzeption haben, in denen die Lehrer eng miteinander zusammenarbeiten und es eine gute Schulleitung gibt.
Marcus: Es stimmt: Die Akteure vor Ort sind ganz entscheidend. Für mich funktioniert eine gute Schule idealerweise so, dass sie von der Behörde klare Vorgaben bekommt, was erreicht werden muss, zugleich aber viel Freiheit bei der Frage, wie sie die Ziele erreicht. Was bei einer gegebenen Schülerschaft am besten funktioniert, weiß die Schule, wissen die jeweiligen Lehrer am besten. Am Ende muss dann sehr genau überprüft werden, was die Schüler dazugelernt haben. Aufgabe der empirischen Bildungsforschung ist es, den Lehrern zurückzuspiegeln, welche Methoden und Techniken gut funktionieren.
Diskutiert wird meist vor allem über die Struktur – also eine längere gemeinsame Schulzeit oder aber die Schulzeitverkürzung am Gymnasium.
Marcus: Deutschland hat im internationalen Vergleich nur eine recht kurze Phase, in der alle Schüler gemeinsam lernen. Viele Studien zeigen, dass sie eigentlich zu kurz ist, weil insbesondere leistungsschwächere Schüler durch die frühe Aufteilung auf verschiedene Schultypen benachteiligt werden. In Hamburg wurde ein wichtiger Schritt unternommen, Haupt- und Realschulen zu Stadtteilschulen zusammenzuführen, die auch zum Abitur führen können. Ich fand es schade, dass die Pläne für eine längere Primarschule in der Stadt durch den Volksentscheid verhindert wurden.
Gerick: Das sehe ich auch so: Die frühe Trennung manifestiert und reproduziert die soziale Ungleichheit.
In der Tat ist ein Schwachpunkt des deutschen Bildungssystems, dass der Bildungserfolg offenbar stärker als in anderen Ländern vom sozialen Hintergrund abhängt. Da ist man nicht so richtig vorangekommen, oder?
Gerick: Das stimmt. Ein bisschen was hat sich zwar schon getan, aber wir können uns auf keinen Fall zufrieden zurücklehnen.
Marcus: Neben dem längeren gemeinsamen Lernen helfen besonders Ganztagsangebote, Kinder aus eher bildungsfernen Familien zu fördern, weil der Einfluss des Elternhauses ein stückweit zurückgedrängt wird. Da ist Hamburg schon recht weit. Es dauert aber im Schulwesen immer eine Weile, bis Erfolge sichtbar werden. Deshalb ist das häufige „Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln“, wie es in einigen Bundesländern zu beobachten ist, gefährlich. Schulische Reformen brauchen Zeit, um ihre Wirkung zu entfalten, und die Schulen eine gewisse Ruhe, damit sie gut arbeiten können.
Da wären wir bei G 8 an Gymnasien und der Diskussion um die Rückkehr zu G 9.
Marcus: Ich finde es gut, dass die Politik in Hamburg standhaft geblieben ist und an G 8 an Gymnasien festhält. Leistungsmäßig ist der Unterschied zwischen G-8- und G-9-Abiturienten ohnehin nicht besonders groß. In der neunten Klasse haben die G-8-Schüler einen leichten Vorteil, am Ende schneiden die G-9-Schüler ein wenig besser bei den Abiturnoten und Kompetenzmessungen ab. Das zeigen Studien unter anderem in Baden-Württemberg sowie Vergleiche der Abiturnoten. Die Unterschiede sind aber klein und man muss berücksichtigen, dass die G-8-Abiturienten ein Jahr jünger sind. Alles in allem gibt es keine wissenschaftlichen Ergebnisse, die begründen würden, warum man zu G 9 zurückkehren müsste. Dagegen steht das gewonnene Jahr der jüngeren Abiturienten, das die Rushhour des Lebens etwas entzerrt.
Allerdings ist die Schulzeit an sich stressiger. Und sehr viele Abiturienten machen nach ihrem Abschluss erst einmal ein Jahr etwas anderes – Praktika, Jobben, Auslandsaufenthalte oder einfach nur Pause.
Marcus: Das muss ja nicht schlecht sein, vor allem für die Persönlichkeitsentfaltung.
Gerick: Andererseits nehmen viele Schüler und auch Eltern den Stressfaktor in der verkürzten Schulzeit schon durchaus wahr. Das ist ein Wettbewerbsvorteil für die Stadtteilschulen, die den Jugendlichen ein Jahr mehr Zeit geben. Ganz interessant sind übrigens Überlegungen in einigen Bundesländern, die zu G 9 zurückkehren, das zusätzliche Jahr anders zu nutzen als früher – vielleicht in Form von projektförmigem Lernen.
Also unterm Strich: Wie bedeutsam sind schulische Strukturen für gute Schule?
Marcus: Strukturen sind wichtig, aber wir sollten aufpassen, dass wir nicht nur über Strukturen diskutieren. Das ist eine Stellschraube, an der Politiker am leichtesten drehen können. Dabei wird manchmal übersehen, wie wichtig die Akteure sind – also die Lehrer, die Schulleitungen und auch die Eltern.
Die Eltern?
Gerick: Ein positives Lernklima in der Familie ist von großem Vorteil. Sozial schwächere Eltern, die aufgrund ihrer eigenen Biografie nicht so nah dran sind an Bildung, stärker hereinzuholen in das Thema Schule, ist deshalb ganz wichtig. In Hamburg bildet beispielsweise das Projekt Schulmentoren Mütter und Väter zu Mentoren aus, die anderen Eltern unter anderem das deutsche Schulsystem näherbringen.
Das vollständige Interview lesen Sie im Hamburger Abendblatt:
zum Interview: Was macht eine gute Schule aus?
Prof. Dr. Jan Marcus ist Juniorprofessor für Volkswirtschaftslehre und beschäftigt sich im Rahmen der Ökonometrie, also Statistik in den Wirtschaftswissenschaften, intensiv mit Bildungsforschung. Eines seiner Themen ist die Evaluation der G8-Reform an Gymnasien. Marcus stammt aus einer Lehrerfamilie.
Prof. Dr. Julia Gerick ist Juniorprofessorin für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Schulentwicklungsforschung an der Universität Hamburg. Sie befasst sich insbesondere mit empirischer Schulforschung.
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