
Die großen Fragen des LebensFrage 77: Warum spielen wir?Auszug aus dem Interview im Hamburger Abendblatt
17. August 2019, von Online-Dienste

Foto: Hamburger Abendblatt / Marcelo Hernandez
Prof. Kathrin Fahlenbach und Prof. Ingrid Bähr
Die Klassiker haben es Kathrin Fahlenbrach angetan: Sie hat als Kind am liebsten "Mau-Mau" und "Mensch ärgere dich nicht" gespielt, Ingrid Bähr hingegen zockte Tage und Nächte lang "Monopoly". Die Professorinnen erklären, warum sie jedem Erwachsenen empfehlen, weiterhin viel zu spielen, welche positiven Effekte Computerspiele mit sich bringen und wann Managerschulungen auch nur Spiele sind.
Was unterscheidet das Spielen von anderen Handlungen?
Prof. Dr. Ingrid Bähr: Die Zweckfreiheit. Spielen hat keinen Zweck außerhalb der Tätigkeit an sich oder zumindest eine unvollständige Funktionalität. Es muss irgendwas enthalten sein, das keinen Sinn im Sinne von Existenzsicherung macht. Wenn Leute umherrennen und versuchen, Bälle in Körbe zu werfen, die unten offen sind, dann ist das ein Basketballspiel. Es macht ja keinen Sinn, einen Ball in einen offenen Korb zu werfen. Oder nehmen wir den Hindernislauf. Ich bin gerade zum Bus gerannt und dabei über eine Absperrung gesprungen, das war kein Spiel, sondern Ernst. Es stellen sich aber Leute Hindernisse absichtlich in den Weg, nur um drüber zu springen - dann handelt es sich um eine spielerische Tätigkeit. Diese Tätigkeit erzeugt Freude und Spannung, ein Spiel bindet die Menschen emotional.
Prof. Dr. Kathrin Fahlenbrach: Im Spiel werden oft fiktionale Rahmenbedingungen hergestellt. Kinder machen das in Rollenspielen schnell, da ist der eine die Mutter, der andere das Kind, oder der eine Superheld, der andere Feind. Man einigt sich gemeinsam auf Regeln neuer Realitätsbedingungen – dieses Spielerische ist das Grundprinzip von Filmen oder anderen erzählerischen Medien, eine fiktive Welt herzustellen, einen Modus des "als ob".
Spiele gibt es seit der Frühzeit menschlicher Kultur - welche Funktionen nehmen Spiele für Menschen ein?
Bähr: Eine anthropologische Konstante ist, dass Spielen und Erkunden sehr eng zusammenhängen. Es hat bislang auch noch niemand diese Begriffe genau voneinander trennen können. Erkunden hat mit einem Informationsgewinn zu tun, da taucht also ein Zweck auf, beim Spielen verhält es sich anders, da lernt man nebenbei. Wenn junge Füchse beispielsweise Tannenzapfen hinterherjagen, üben sie so, Beute zu jagen. Der Mensch denkt sich die Regel dazu aus, die Beute nur mit den Füßen bewegen zu dürfen, auf die Idee kämen Füchse nie. Fußball ist also ein Spiel im kulturellen Sinne, und die Erkundungsfunktion ist etwas, das wir sowohl bei Kindern als auch bei Tieren finden.
Fahlenbrach: Es geht beim Spiel auch um Testhandeln. Das hat eine lange Geschichte. Schon in der Antike haben die Menschen Theater geliebt. Dabei testeten sie imaginativ, welche Konsequenzen bestimmte Handlungen haben könnten. Katharsis spielt hier eine Rolle. Ich erlebe anhand des Schauspiels, welche Folgen sein moralisch schlechtes Handeln hat und erfahre so eine moralische Lektion. In der Fiktion kann ich spielerisch die Folgen einer Handlung ausprobieren.
Bähr: Deshalb darf ich bei Monopoly so schön gierig sein. Ich darf negativ Belegtes ausleben und dadurch auch noch gewinnen. Bei Raufspielen auf dem Schulhof ist es ähnlich, jedoch unter besonderen Bedingungen: Es geht darum, Regeln auszuhandeln, Regeln zu verstehen, zu verändern. Raufen ist wichtig, gerade für Jungs, die ihre Körperlichkeit erkunden müssen. Wenn sie dabei Regeln einhalten wie, wenn einer "Stopp" sagt oder auf dem Boden liegt, hört man auf, und dass man dem anderen nicht wehtun darf, dann handelt es sich dabei um eine konstruktive Form von Kommunikation. Dann ist es gewissermaßen eine aufmerksame Art und Weise, einander genau wahrzunehmen und sein Handeln auf den anderen abzustimmen.
Keine Spezies spielt so intensiv wie der Mensch, richtig?
Bähr: Ja. Der Mensch ist das einzige Wesen, das sich seine Bewegungsfähigkeit künstlich erschwert. Schiller hat mal gesagt: "Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt." Wir machen etwas äußerlich Zweckfreies, zum Beispiel ganz schnell im Kreis zu laufen, nur um da wieder anzukommen, wo wir gestartet sind. Oder wir steigen unter Lebensgefahr auf Berge, nur um wieder runterzulaufen, das ist ja ein Luxusgut. Diese Selbsterschwernis finden wir im Tierreich nicht, und in ihr muss ein Gewinn für uns Menschen liegen. Das Freudvolle steht auf jeden Fall beim Spiel im Vordergrund. Sobald ein Kind gelernt hat, dass eine Tür schön laut knallt, wenn man sie zuschlägt, dann kann es das ja schon. Es knallt die Tür aber noch tausendmal zu. Die Freude am Tun ist extrem menschlich.
Fahlenbrach: Es gibt sie auch in anderen Spezies, aber nur wir Menschen stellen uns Regeln auf. Die Tiere nicht.
Bähr: Und der Gewinn ist bei uns rein symbolisch. Wenn ich mehr Tore habe als mein Gegner, dann habe ich dadurch nicht mehr zu essen. Ausnahme wäre hier der Profisport, aber der wäre aus genau diesem Grund dann kein Spiel mehr.
Forscher empfehlen, dass Kinder bis zum Alter von sechs Jahren jeden Tag sieben bis acht Stunden lang spielen sollten, das wäre ja ein Fulltime-Job.
Bähr: Für die Freinet-Pädagogen ist Spielen ja auch Arbeit. Von der Natur aus tun Kinder nichts Anderes, als sich in der Welt zurechtzufinden, und das machen sie spielerisch. Die Frage ist nur, wie spielen sie. Das unorganisierte Sporttreiben und Spielen auf der Straße findet deutlich weniger statt als früher. Die Bewegungszeit im Alltag hat deutlich abgenommen. Heute sind Kinder und Jugendliche im Schnitt nur noch eine halbe Stunde täglich in Bewegung, vor zehn Jahren war das etwa doppelt so viel. Interessant ist dabei, dass körperliche Aktivität und Mediennutzung aber nicht direkt zusammenhängen. Gleichzeitig haben wir mit etwa 60 Prozent im Sportverein angemeldete Kinder und Jugendliche – noch nie waren es so viele. Wir beobachten dabei aber eine gesellschaftliche Aufsplittung je nach Elternhaus, sozialem Umfeld und Bildungsnähe.
Es gibt einige Spiele, die auf der ganzen Welt zu finden sind, wie Seilhüpfen und Verstecken, welche sind die beliebtesten?
Fahlenbrach: Momentan vor allem Action-Adventure-Games wie "God of War" oder "Red Dead Redemption". Es handelt dabei um ein kulturübergreifendes Phänomen. Das Netz hat zu einer Globalisierung der Medienkultur geführt, grenzüberschreitend haben sich bestimmte Vorlieben ausgeprägt.
Bähr: Die Vorlieben sind kulturübergreifend auch altersabhängig. Zuerst kommt das Spielen mit etwas, zum Beispiel mit Bauklötzen. Es folgt das Spielen als etwas. Sobald soziale Beziehungen eine Rolle spielen, möchten Kinder etwas darstellen, eine Mutter, einen Helden, eine Fee usw. Die dritte Form ist das Spielen um etwas, also Wettkämpfe, dafür interessieren sich die meisten erst ab 6 oder 7 Jahren. Aber auch Erwachsene spielen gerne als etwas. Nehmen Sie nur den Karneval. Da spielt ganz Köln!
Das vollständige Interview lesen Sie im Hamburger Abendblatt:
zum Interview: Warum spielen wir?
Kathrin Fahlenbrach ist Professorin für Medienwissenschaft. Ihre Schwerpunkte liegen im Bereich Ästhetik und Geschichte der Medien, und seit fünf Jahren forscht sie speziell zu Computerspielen.
Ingrid Bähr ist Professorin für Didaktik von Bewegung, Spiel und Sport in der Lehramtsausbildung. Spiele sind ein wichtiger Bereich im schulischen Sportunterricht. Sie forscht zu offenen Unterrichtsformen, zur Methodik im Sportunterricht, zum Beispiel, wie man mit demokratischer Beteiligung der Schüler/innen Sportunterricht gestalten kann.
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