
Die großen Fragen des LebensFrage 83: Was sollen wir essen?Auszug aus dem Interview im Hamburger Abendblatt
7. Oktober 2019, von Digitale Kommunikation und Design

Foto: Mark Sandten / Funke Foto Services
Was ist wohl gesünder? Die Süßigkeit, die die Psychologin Dr. Fladung hält, oder das Gemüse von Dr. Zyriax vom UKE Hamburg? Im Grunde weiß jeder, was gute Ernährung bedeutet – wir vergessen es nur zu gerne.
Kurz vor unserem Gespräch haben die beiden Wissenschaftlerinnen gefrühstückt, natürlich total gesund: Obst mit Vollkornflocken und Naturjoghurt die eine, Müsli die andere. Also besser keinen Drink zum Interview anbieten? Kleiner Scherz. Die Psychologin Dr. Anne-Katharina Fladung und die Medizinerin Dr. Birgit-Christiane Zyriax wissen natürlich, wie ungesund Alkohol sein kann, und fordern endlich die Einführung der Lebensmittelampel.
Warum muss ich überhaupt essen?
PD Dr. Birgit-Christiane Zyriax: Ohne Energiezufuhr und essenzielle Nährstoffe könnten wir nicht lange überleben.
Dr. Anne-Katharina Fladung: Der Körper versucht zwar, sich an die Mangelernährung durch starkes Diätieren anzupassen, indem z. B. die Stoffwechselrate sinkt. Aber bei fortschreitendem Hungern fehlen Bausteine, um beispielsweise die Fortpflanzungsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Die Knochendichte nimmt ab, und für die Nervenreizweiterleitung fehlen wichtige Komponenten, was durchaus zu schwerwiegenden bis tödlichen Problemen führen kann.
Eine gesunde Ernährung ist Ihrer Ansicht nach?
Zyriax: Zur Vorbeugung von Erkrankungen vor allem Gemüse, Obst und Hülsenfrüchte. Weniger Fleisch, besser Fisch, und ein maßvoller Umgang mit Süßigkeiten, ausreichend trinken und wenig Alkohol. Möglichst frisch zubereitet und in Ruhe genossen. Mediterrane Kost ist ein gutes Beispiel für eine gesunde Ernährung.
Kann man sich bei einer Erkrankung auch gesund essen?
Zyriax: Nein. Aber ein gesunder Lebensstil kann häufig dazu beitragen, den Krankheitsverlauf und die Lebensqualität positiv zu beeinflussen. Wichtig: Man kann vorsorgen. 50 bis 75 Prozent der Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind ernährungs- und lebensstilbedingt, bei Darmkrebs sind es zwei Drittel, bei Diabetes Typ 2 90 Prozent. Wie wir leben, beeinflusst das Risiko für viele dieser Erkrankungen mindestens ebenso stark wie unsere Gene.
Fladung: Und nicht immer nur auf die Waage gucken! Diäten zur Gewichtsreduktion funktionieren langfristig einfach nicht, das ist mehrfach nachgewiesen. Sie erhöhen aber – bei entsprechender Veranlagung – das Risiko, eine Essstörung zu entwickeln. Ein vielversprechender Ansatz, der das Dilemma zwischen Gesundheitsrisiko und Misserfolg von Gewichtsreduktionsdiäten zu lösen versucht, ist das intuitive Essen. Der gestresste oder emotional aufgewühlte Frustesser achtet nicht mehr auf seine Hunger- und Sättigungssignale. Das ist aber wichtig, um zu lernen, sich entsprechend seiner individuellen Bedürfnisse – also intuitiv – zu ernähren. Sogar die „Weight Watchers“ haben inzwischen das Wort Gewicht aus ihrem Namen gestrichen, die heißen jetzt „Wellness that works“.
Manche verteufeln Weizen oder tierische Produkte, essen nur noch Rohes oder nach der Steinzeitdiät. Was macht Sinn, was ist Quatsch?
Fladung: Es gibt sehr gute Gründe, gerade für weniger Fleischkonsum zu werben. Die Wissenschaft ist aber noch nicht so weit, dass wir komplett verstanden haben, wie der Körper Nahrung verarbeitet. Wir sollten es also im übertragenen Sinne nicht immer besser wissen wollen als unser Körper.
Zyriax: Modediäten bringen uns nicht weiter. Ich würde mir wünschen, dass gesundes Essen und mehr Zeit, Mahlzeiten gemeinsam zu genießen, bei uns mehr Wertschätzung erfahren würden. Da können wir durchaus von anderen Kulturen lernen.
Morgens essen wie ein Kaiser, mittags wie ein König, abends wie ein Bettler. Stimmt der Spruch, oder zu welcher Uhrzeit sollte ich was essen?
Zyriax: Wichtiger als die Uhrzeit sind längere Pausen zwischen den Mahlzeiten, also kein „Snacking all over the day“.
Eckart von Hirschhausen empfiehlt das Intervallfasten. Warum kann es gesund sein, viele Stunden lang auf Nahrung zu verzichten?
Zyriax: Weil der Insulinspiegel nicht so hochgejagt wird. Und wenn der Körper keine Energiereserven mehr hat, dann geht er an die Fettreserven. Manche Gesunde kommen mit dem Intervallfasten ganz gut klar, aber es passt nicht in jeden Alltag. Und keinesfalls sollte es ein Freibrief dafür sein, in den acht Stunden, in denen gegessen wird, vor allem Fast Food, Süßwaren, Snacks und Alkohol zu konsumieren.
Fladung: Essen wir irgendwann wieder zu normalen Uhrzeiten, dann sind die verlorenen Kilos schnell wieder drauf. Es gab eine Studie im Rahmen der Sendung „The Biggest Loser“. Da haben Kandidaten in relativ kurzer Zeit viel Gewicht verloren. Doch nach einer gewissen Zeit waren alle wieder so übergewichtig wie zuvor. Ihre Körper hatten sich auf „Hungersnot“ eingestellt und speicherten Fettreserven also besonders effizient.
Welche Nahrungsmittel sind wirklich Gift für unseren Körper?
Zyriax: Verdorbene Lebensmittel. Alte Gewürze oder Nüsse können mit Schimmelpilzen befallen sein, die wirken krebserregend. Stark verarbeitete oder lang erhitzte Lebensmittel empfehle ich ebenfalls nicht. Grillen zum Beispiel – besser nicht so häufig. Genauso wie Alkohol, ich achte schon bewusst darauf, wenig zu trinken. Jeden Tag ein Glas Wein, damit fördere ich schon ein Suchtverhalten.
Fladung: Man sollte aber keine Angst vor Nahrungsmitteln haben. Gerade adipöse Patienten fürchten sich häufig vor bestimmten Lebensmitteln, sie verbieten sie sich strikt, und dann tritt etwas ein, das wir ironische Effekte mentaler Kontrolle nennen. Wer sich Schokolade verbietet, der wird erst recht süchtig danach! Alles ist erlaubt. Die Vielfalt an Ernährung muss aufrechterhalten bleiben. Was ich kritisch sehe, sind Nahrungsergänzungsmittel. Niemand muss seinen Körper mit Pillen unterstützen.
Zyriax: Da stimme ich zu. Es gibt nur wenige Ausnahmen, z. B. Schwangere, die haben einen höheren Bedarf an Folsäure und Jod, und älteren Menschen fehlt häufiger Vitamin D und B12. Ansonsten geben Nahrungsergänzungsmittel nur eine trügerische Sicherheit, viele denken, sich dann ungesund ernähren zu dürfen. Riskant ist es auch, wenn ich Medikamente mit Nahrungsergänzungsmitteln kombiniere. Es gibt 70 beschriebene Wechselwirkungen, z. B. wirkt dann das Mittel für Epilepsie oder gegen Gerinnungsstörungen plötzlich weniger oder stärker.
Top-Kalzium-Lieferant ist Milch und alles, was daraus gemacht wird. Viele glauben deswegen, dass Milch auch vor Osteoporose schützt. Stimmt das?
Zyriax: Kalzium braucht man, das stimmt, aber Kalzium steckt in vielen anderen Lebensmitteln, zum Beispiel in Brokkoli oder Grünkohl. Es gibt auch Mineralwasser mit viel Kalzium. Um Osteoporose vorzubeugen, muss man auf den Vitamin-D-Haushalt schauen, und das Wichtigste ist Bewegung. Bewegung baut den Knochen auf, und zwar intensive Bewegung, am besten schon in der Jugend. Dass wir Milch nicht brauchen, sehen wir ja schon daran, dass sonst alle Völker, die keine Milch konsumieren, z. B. in Asien, eine schlechte Knochengesundheit hätten. Das Gegenteil ist der Fall.
Milch enthält wachstumsfördernde Botenstoffe, die ursprünglich für das Kälbchen bestimmt sind. Sollten nur Kinder Milch trinken?
Zyriax: Erwachsene brauchen Milch eigentlich nicht mehr. Aber wenn ich mir in meinen Kaffee ein paar Löffel Milch gebe, dann ist das völlig unproblematisch.
Das vollständige Interview lesen Sie im Hamburger Abendblatt:
zum Interview: Was sollen wir essen?
Dr. rer. nat. Anne-Katharina Fladung ist approbierte Psychotherapeutin und geschäftsführende Leiterin der Psychotherapeutischen Hochschulambulanz am Institut für Psychologie der Universität Hamburg. Sie praktiziert, lehrt und forscht auf dem Gebiet der Klinischen Psychologie und Psychotherapie, ihr spezielles Interesse gilt dabei den klinisch relevanten Essstörungen.
PD Dr. Birgit-Christiane Zyriax forscht und lehrt zum Stellenwert von Ernährung und Lebensstil in Verbindung mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Prädiabetes, Krebs und chronisch entzündlichen Hauterkrankungen. Die Ernährungswissenschaftlerin leitet die Präventivmedizin und Ernährung am Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen am UKE. Sie ist überzeugt: Ein gesunder Lebensstil erhöht die Lebenserwartung.
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