
Die großen Fragen des LebensFrage 93: Was ist gesunde Arbeit?Auszug aus dem Interview im Hamburger Abendblatt
17. Dezember 2019, von Digitale Kommunikation und Design

Foto: Thorsten Ahlf
Sind wir noch zu retten oder ertrinken wir in zu viel Arbeit? Dr. Dipl.-psych. Christine Busch und Univ.-prof. Dr. med. Volker Harth wissen, wie man mit gestiegenen Anforderungen umgeht.
Sind Sie gerade bei der Arbeit oder auf dem Weg dahin? Dann machen Sie schon mal alles richtig, denn ein Job ist zunächst einmal gut für unsere Gesundheit. Es gilt jedoch ein paar Dinge zu beachten. Dr. Dipl.-psych. Christine Busch und Univ.-prof. Dr. med. Volker Harth von der Universität Hamburg erklären, wie Sie Krankheiten vermeiden und welche Veränderungen in Zukunft noch auf uns zukommen.
Hamburger Abendblatt: Wie wichtig ist Arbeit für die eigene Gesundheit?
Dr. Christine Busch: Sie ist erst mal positiv für die Gesundheit. Arbeit ermöglicht die Teilhabe an der Gesellschaft, wir können unsere Fähigkeiten und sozialen Beziehungen erweitern, das macht Arbeit so wichtig für die Gesundheit.
Prof. Dr. med. Volker Harth: Wie wichtig sie ist, fällt einem besonders auf, wenn man sich die Gesundheit von Menschen anschaut, die nicht erwerbstätig sind. Wer weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens zur Verfügung hat, der lebt zehn Jahre weniger.
Da geht es aber ja auch um Geld. Was macht denn kränker: schlechte Arbeit oder gar keine Arbeit?
Harth: Gute Frage. Fest steht, dass Arbeit leider auch krank machen kann. Wir haben in Deutschland 80 verschiedene Berufskrankheiten ...
So viele? Ich kenne vor allem eine: Kopfschmerzen.
Harth: Es gibt eine große Palette. Zu den Auslösern der ersten anerkennungsfähigen Berufskrankheiten in Deutschland zählen Schwermetalle und verschiedene chemische Stoffe. Bei den Anerkennungen führen aktuell die Lärmschwerhörigkeit, Hautkrebs durch arbeitsbedingte UV-Strahlung und asbestbedingte Lungenerkrankungen. Es gibt auch den Harnblasenkrebs durch beruflichen Umgang mit ungesunden Haarfarben oder Malerfarben, die bis in die 1970er-Jahre verwendet und über die Haut aufgenommen wurden. Und vor Kurzem wurde Eierstockkrebs durch Asbest als Berufskrankheit zugelassen.
Da kommt es sehr auf die Branche an, in der man tätig ist. Gibt es Themen im Gesundheitsschutz, die alle betreffen?
Busch: Es gibt wissenschaftliche Modelle zu Arbeit und Gesundheit, die beanspruchen, für alle Tätigkeiten zu gelten. Ein sehr bekanntes Modell, das Job-Demand-Control-Modell von Robert Karasek, benennt zwei Dimensionen: Anforderungen, damit wir lernen und uns entwickeln können, uns aktiv und lebendig fühlen, und Handlungsspielräume. Wenn ich hohe Anforderungen zu bewältigen habe, aber kaum etwas selbst gestalten kann, dann kann mich das krank machen. Ein anderes bekanntes Modell ist das Gratifikationskrisenmodell von Johannes Siegrist. Wenn wir Einsatz zeigen und Leistung erbringen, erwarten wir auch Gratifikationen wie Geld oder Anerkennung. Wenn das Gleichgewicht aus dem Lot kommt, dann können wir krank werden.
Haben die psychischen Belastungen in den letzten Jahren zugenommen?
Harth: Ja, unstrittig nehmen die psychischen Belastungen in vielen Branchen zu. Diese können zu Fehlbeanspruchungen führen, wenn etwa die Anforderungen an Quantität und Qualität der Arbeit ständig zunehmen und immer höhere Anforderungen an die Flexibilität des Arbeitnehmers gestellt werden. Wenn wir einmal den Hamburger Arbeitsmarkt betrachten, so fällt auf, dass von den 1,25 Millionen Beschäftigen fast 1,1 Millionen im Dienstleistungssektor arbeiten. Durch die zunehmende Digitalisierung des Arbeitsplatzes können zusätzliche Belastungen durch Arbeitsverdichtung, Autonomieverlust, das Gefühl einer ständigen Überwachung oder möglicherweise auch Unterforderung und Monotonieerleben entstehen. Neue Technologien haben außerdem Einfluss auf den Arbeitsort und die Länge der Arbeitszeit. Es ist nicht mehr so, dass wir die Arbeit hinter uns lassen, sobald wir das Büro verlassen. Durch die mobilen Endgeräte sind wir jederzeit erreichbar, auch in unserer Privatsphäre. Gesunde Führung muss daher darauf achten, außerhalb der Arbeitszeit nur im Notfall an den Mitarbeiter heranzutreten. Ich begrüße es, wenn beispielsweise E-Mail-Server über das Wochenende abgestellt werden.
Das wäre bei uns als Tageszeitung nicht wirklich möglich.
Harth: Natürlich, Sie müssen immer erreichbar sein als Journalist. Aber es ist dadurch sicherlich nicht einfach, in der arbeitsfreien Zeit innerlich abzuschalten. Und wenn man dann noch nachts vor dem Schlafengehen ein paar E-Mails liest, dann kann dies auch Ihr Schlafverhalten beeinflussen aufgrund des Inhaltes der E-Mail oder sogar aufgrund des Blaulichtanteils in Ihrem Smartphone. Das klassische " analoge" Arbeiten mit Stift und Papier hatte etwas entschleunigendes, da wartete man schon einmal mehrere Tage auf das Eintreffen eines wichtigen Briefes, um seine Arbeit dann fortsetzen zu können.
Busch: Arbeit verändert sich durch die technologischen Entwicklungen, das stimmt, aber Technik ist in erster Linie eine Option, nicht gut oder schlecht. Sie bietet auch viele Chancen. Wir können örtlich und zeitlich flexibel arbeiten. Meine Tochter ist heute zum Beispiel krank, aber ich konnte von zu Hause arbeiten. Auf der anderen Seite hat die Arbeitsverdichtung immense negative Folgen wie Burn-out.
Harth: Eine Vielzahl von Studien zeigen Zusammenhänge zwischen wiederholten Gratifikationskrisen und einem gesteigerten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder psychischen Erkrankungen. Wenn der Mitarbeiter also seine Leistungen nicht genügend honoriert sieht, weil der Chef beispielsweise seinen Einsatz nicht entsprechend würdigt und lobt ...
... aber ist ein Chef denn zum Loben da? Wir sind ja Mitarbeiter, keine Kinder.
Busch: Die subjektive Bewertung spielt eine große Rolle. Es gibt Anforderungen, die sind für den einen gut, für den anderen führen sie zu Stress. Manche brauchen zum Beispiel Zeitdruck und Deadlines, um voranzukommen. Für andere ist das belastend und führt zu Stress.
Belastungen werden unterschiedlich wahrgenommen, natürlich. Aber was macht man, wenn der eine im Team schon an seine Grenzen stößt, der andere aber von Überbeanspruchung noch gar nichts merkt?
Harth: Da kommt es auf gute Führung an. Als Vorgesetzter müssen Sie ihre Mitarbeiter entsprechend ihrer Möglichkeiten einsetzen. Sie müssen einschätzen können, wo der Einzelne seine Stärken hat und bei welcher Tätigkeit diese am besten zum Einsatz kommen, dabei handelt es sich um ein wesentliches Element von gesunder Führung. Sie sollten sensibel genug sein, Zeichen von Überbeanspruchung zu erkennen, und in der Lage sein, entsprechend wertschätzende Gespräche zu führen.
Busch: Untersuchungen zeigen: Die Wertschätzung durch den Chef ist sehr wichtig für die Gesundheit und sogar häufig wichtiger als die Wertschätzung durch die Kollegen.
Ist ein Vorgesetzter verantwortlich für die Gesundheit seiner Mitarbeiter?
Harth: Auf jeden Fall! Der Arbeitgeber hat genauso viel Verantwortung wie der Mitarbeiter selbst. Der Arbeitgeber muss die Voraussetzungen für einen gesundheitsförderlichen Arbeitsplatz schaffen, also etwa einen trockenen, gut gelüfteten Arbeitsplatz zur Verfügung stellen. Dies ist durch verschiedene Verordnungen geregelt, diese einzuhalten ist das Mindeste. Doch auch der Arbeitnehmer muss sich selbst in die Pflicht nehmen, wenn er überlastet ist, dann eben nicht abends noch Mails zu beantworten. Auch sollte er versuchen, Ruhezeiten einzuhalten und genug Schlaf zu finden. Der Arbeitgeber kann natürlich nicht das Privatleben regeln und Gedanken lesen. Es gibt leider auch allzu oft Mitarbeiter, die die Überforderung nicht benennen, trotzdem freundlich lächeln, dann aber auf einmal kollabieren. Zum Selbstmanagement gehört es auch, sich nicht auszubeuten zu lassen.
Busch: Unser Arbeitsschutzgesetz ist eindeutig: Jeder Arbeitgeber ist verpflichtet, die Arbeitsbelastungen seiner Mitarbeiter zu prüfen mit einer sogenannten Gefährdungsbeurteilung. Und er muss die Belastungen nicht nur eruieren, er muss auch Maßnahmen planen, durchführen und auf seine Wirksamkeit überprüfen. Leider bleibt es häufig bei der Prüfung. Dabei bringen Maßnahmen zur Gesundheitsförderung viel.
Das vollständige Interview lesen Sie im Hamburger Abendblatt:
zum Interview: Was ist gesunde Arbeit?
Dr. Dipl.-psych. Christine Busch ist Postdoc der Arbeits- und Organisationspsychologie der Universität Hamburg. Sie ist in Lehre und Forschung zu gesunder Arbeit und betrieblicher Gesundheitsförderung sowie Stressmanagement tätig. Sie leitet seit 2006 Verbundprojekte des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zur Präventionsforschung in der Arbeitswelt.
Univ.-prof. Dr. med. Volker Harth ist seit 2013 Leiter des Zentralinstituts für Arbeitsmedizinund Maritime Medizin (ZfAM) in Hamburg und zugleich Inhaber des Lehrstuhls für Arbeitsmedizin und Maritime Medizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). In den letzten Jahren beschäftigte er sich insbesondere mit den gesundheitlichen Auswirkungen von Nacht- und Wechselschichtarbeit.
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